Miss Emergency
fröhlich. »Was ist DARAN denn bitte verwerflich? Wir gehen immerhin nur zusammen tanzen und alle sind dabei.« Siehst du, Tobias, denke ich traurig, da fügt Dr. Gode hinzu: »Es ist ja nicht, als ob wir eine geheime Schutzbefohlenen-Affäre hätten.« Hm.
Die Kontrolluntersuchung bei Frau Jahn verläuft eigentlich gut, technisch gibt es nichts zu bemängeln. Aber Frau Jahn scheint eine ganz andere geworden zu sein. Alle Energie ist weg.
»Sie werden jetzt sehr viel Zeit investieren müssen«, sage ich, »sechs Wochen nur Teilbelastung, nicht mehr als 60° beugen, immer mit der Schiene laufen.« Ich höre mich an wie ein Lehrbuch.
Frau Jahn sieht mich abwesend an. »Ach Kindchen«, sagt sie. »Zeit habe ich doch jetzt genug …« Sie tut mir leid. Aber was soll ich ihr raten? Dass sie sich eine Katze kauft? Dass sie meinen Professor Dehmel kennenlernt und mit ihm Schach spielt?
»Sie werden eine neue Aufgabe finden«, ist schließlich alles, was ich sage.
»Wenn ich eine neue Aufgabe finden möchte …«, antwortet sie.
»Lassen Sie sich Zeit«, sage ich leise. »Lassen Sie sich endlich Zeit …« Sie nickt.
Natürlich ist auch Ruben bereits über meine Einladung zum Ärzteball informiert. Bei unserem Feierabendtee erklärt er mir, warum ein anderer Mann immer die beste Lösung für Männer-Probleme ist. »Revierverhalten. Männer kriegt man höchstens zurück, wenn man den Eindruck erweckt, sie müssten etwas erkämpfen.«
»Er hat sich getrennt«, sage ich bitter. »Ich kann doch unmöglich hingehen und sagen ›Bitte schön, jetzt geh ich mit einem anderen tanzen‹!«
Ruben lächelt fein. »Du nicht. Aber der Flurfunk hat so oft gegen dich gearbeitet – warum nicht auch mal FÜR dich?«
Auch an diesem Abend schleiche ich, so schnell ich kann, über den Parkplatz. Auch heute schirmen mich meine Freundinnen ab wie Polizeihunde. Aber heute ist er da. Er schließt gerade seinen Wagen auf, als wir die Treppe herunterkommen. Ich finde es zu demütigend, jetzt umzudrehen, also ziehe ich meine Freundinnen weiter. Auch er beeilt sich nicht. »Guten Abend«, sagt er, als wir vorbeigehen. Niemand antwortet.
»Hast du gesehen, wie traurig er aussah?«, fragt Isa betroffen. Aber ihr Mitleid brauche ich im Moment ganz für mich.
Isa und Jenny werden nicht auf den Ball gehen. Dabei hat heute ein ziemlich netter junger Unfallchirurg gefragt, ob Jenny ihn begleiten will. Doch sie hat Angst, Felix zu begegnen. Auch etwas völlig Neues. Ich weiß, dass sie mehrfach versucht hat, ihn anzurufen, ich weiß, warum sie sich heute noch einmal überwunden hat, den Gang ins Labor zu übernehmen. Aber Felix lässt sie links liegen. Und den Namen Björn darf man in unserem Hause nicht mehr aussprechen.
Wenigstens Isa scheint es besser zu gehen, für heute Abend hat sie die erste Verabredung mit Tom seit einer Woche. Sie ist voller Hoffnung. »In jeder Beziehung gibt es Höhen und Tiefen«, sagt sie zuversichtlich. »Dann ist es eben mal schwierig. Hauptsache, wir sind zusammen.« Jenny und ich wissen nichts zu antworten. Isas Beziehung hatte noch nie Tiefen.
»Es wird wieder gut«, sagt sie entschieden. »Es muss wieder gut werden! Ruben hat es prophezeit.«
Ich habe nicht vergessen, was er für mich aus dem Kaffeesatz gelesen hat.
Um rauszukriegen, ob ich mich wenigstens äußerlich in die Lage versetzen könnte, zum Ball zu gehen, verbringe ich den Abend damit, Jennys Kleider anzuprobieren. Und noch viermal zu rätseln, ob die innere Lena wirklich hingehen will und fünfmal von Jenny zu hören, dass ich spinne. Ich sitze ratlos vor dem Badspiegel und greife schließlich nach einem Lippenstift. Wenn er mit der Schrift nach oben liegen bleibt, gehe ich hin, beschließe ich und werfe den Stift vom Regal. Er landet, rollt, stoppt, die Schrift zeigt nach oben. Dreimal. Bis Jenny kommt und fragt, was mir einfällt, ihren Lippenstift zu ruinieren.
Isa kommt spät nach Hause. Allein. Sie ist ganz ruhig, setzt sich zu uns, atmet durch.
»Tom tritt die Stelle in München doch an«, sagt sie schließlich. »Uns bleibt keine andere Möglichkeit.«
Vielleicht ist Isa die einzig Erwachsene von uns. Ihre Entscheidung jedenfalls wirkt sehr erwachsen. Tom findet keinen Job in Berlin. Ihre Beziehung ist schwierig geworden, distanziert vor unausgesprochenen Vorwürfen. Isa fühlt sich schuldig, Tom hat seinen Entschluss, ihretwegen hierzubleiben, inzwischen mehrfach bereut. Der Job in München ist noch zu haben, die Stiftung hat
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