Miss Lily verliert ihr Herz
kann.“
„Dann sollten Sie mit diesem Mann reden!“
„Das habe ich vor. Er heißt Beecham. Leider kenne ich seinen derzeitigen Aufenthaltsort nicht. Doch immerhin habe ich eine Spur.“
„Gut. Trey würde natürlich nicht wollen, dass Sie was unternehmen. Er denkt, er sei schuld an Ihrer Verwundung. Aber ich weiß, dass Sie, genau wie ich, keine Ruhe finden können, solange Batiste auf freiem Fuß ist.“
„Allerdings“, stimmte Jack ihm zu.
„Worum hat Mr. Wilberforce dich gebeten?“ Ungläubig riss Lily die Augen auf.
Es war recht spät geworden, ehe ihre Mama gemeinsam mit Lady Ashford in Dayle House eingetroffen war, um sie abzuholen. Lady Dayle hatte daraufhin alle zum Dinner eingeladen.
„Er möchte, dass ich eine Tour durch Surrey und Kent unternehme und der Bevölkerung dort unsere Ideen nahebringe.“
„Ihre Mutter hat in Weymouth wahre Wunder bewirkt“, mischte Lady Ashford sich ein. „Es ist gewiss hilfreich für andere, ihre Methoden kennenzulernen.“
„Bestimmt“, pflichtete Lily ihr bei. In ihrem Kopf überschlugen sich die Gedanken Eine Reise! War das nicht genau das, was sie sich gewünscht hatte? Sie würde etwas von der Welt sehen und neue Menschen treffen. Vor Freude beschleunigte ihr Herzschlag sich. „Ich bin so stolz auf dich, Mama!“
„Auch ich möchte Ihnen gratulieren, Mrs. Beecham“, meinte Lady Dayle. „Es ist eine Ehre, mit Mr. Wilberforce zusammenzuarbeiten. Stellen Sie sich nur vor: Sie werden eine der wenigen Damen sein, die an vorderster Front für die Ziele der christlichen Reformbewegung kämpft.“
„Sie haben recht. Es ist eine große Ehre, dabei zu sein.“ Mrs. Beecham sah erschöpft aus.
Unvermutet regte sich Lilys Gewissen. Sie selbst hatte einen wundervollen Nachmittag in Lady Dayles Gesellschaft verbracht, während ihre Mutter offenbar hart gearbeitet hatte. „Werden wir vorher noch nach Hause zurückkehren, Mama?“, erkundigte sie sich. „Du solltest dich eine Zeit lang ausruhen.“
Ein seltsamer Ausdruck huschte über Mrs. Beechams Gesicht. „In ein paar Tagen werde ich London gemeinsam mit Lady Ashford verlassen“, erklärte sie. „Du allerdings wirst nach Hause zurückkehren.“
„Wie bitte?“ Lily setzte die Teetasse ab, aus der sie gerade hatte trinken wollen. „Das ist doch ein Scherz, oder?“
„Wir sind schon so lange fort von daheim, und irgendwer muss sich schließlich um unsere Angelegenheiten dort kümmern, nicht wahr? Außerdem beginnen bald die Vorbereitungen für das Michaelsfest. Viele arme Menschen rechnen fest mit unserer Unterstützung. Wir dürfen sie nicht im Stich lassen.“
„Wir sind nicht die Einzigen, die sich darum kümmern können“, widersprach Lily. Ein flaues Gefühl hatte sich in ihrem Magen ausgebreitet. Doch wider alle Vernunft hoffte sie noch immer, ihre Mutter missverstanden zu haben. „Ich bin sicher, die Damen vom Wohltätigkeitskomitee übernehmen die Arbeit gern.“
Dann kam ihr ein neuer Gedanke. Und jetzt wurde ihr regelrecht übel. „Hat Mr. Cooperage etwas damit zu tun?“, fragte sie. „Dann muss ich dich darauf aufmerksam machen, dass seine Meinung dazu mich überhaupt nicht interessiert.“
„Lilith!“, rief Mrs. Beecham vorwurfsvoll. „Wir werden später darüber reden. Dieses Thema gehört wirklich nicht hierhin.“
„Dann bin ich offenbar gerade zur rechten Zeit eingetroffen“, sagte eine männliche Stimme.
Lily wandte sich um, und ihre Augen leuchteten auf. An der Tür stand Jack Alden! Das Blut stieg ihr in die Wangen. Sie freute sich, ihn zu sehen. Aber warum, um Himmels willen, tauchte er immer gerade dann auf, wenn sie sich in einer unmöglichen Situation befand?
Er kam näher, und Lily versuchte, sich ihre Aufregung nicht anmerken zu lassen. Das war nicht leicht, denn Jacks Erscheinung übte eine seltsame Wirkung auf sie aus. Bei ihrer ersten Begegnung hatte er sie, weil er ein wenig unordentlich wirkte, an einen Künstler erinnert. Jetzt waren seine gut geschnittenen Kleidungsstücke so zerknittert, als habe er darin geschlafen. Die Vorstellung von Mr. Alden im Bett ließ Lily noch tiefer erröten. Rasch wandte sie den Blick ab. Dennoch war ihr nicht entgangen, dass der Gentleman irgendwie niedergedrückt wirkte.
„Jack, mein Lieber!“ Lady Dayle erhob sich, um ihren Sohn willkommen zu heißen. „Setz dich zu uns! Möchtest du etwas essen?“
Er gab seiner Mutter einen Kuss auf die Wange, begrüßte dann die anderen Damen und wählte schließlich den
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