Miss Lily verliert ihr Herz
Stuhl direkt neben Lily.
„Ich möchte Ihnen danken, Miss Beecham“, begann er. „Im Allgemeinen bin nämlich ich es, der unpassende Themen zur Sprache bringt und dafür getadelt wird. Dabei hat mein Bruder mir oft genug gesagt, dass kein Mensch sich für das interessiert, was ich über die Antike oder das Mittelalter zu erzählen habe. Wollen Sie mir verraten, welch unpassendes Thema Sie angeschnitten haben?“
„Genug, Jack“, meine seine Mutter lächelnd und stürzte sich in einen Bericht über Mr. Wilberforce’ Bitte an Mrs. Beecham und Lady Ashford.
Jack beglückwünschte Lilys Mutter und wandte sich dann erneut der Tochter zu. „Ich bin sicher, Sie werden die Reise genießen, Miss Beecham.“
„Sie täuschen sich. Man schickt mich nach Hause wie ein ungehorsames Kind“, entfuhr es Lily.
Sie bemerkte, wie seine Züge sich veränderten. Dann fragte er: „Wo sind Sie zu Hause?“
Was, um Himmels willen, hatte das mit ihrem Problem zu tun? „In Dorset, in der Nähe von Weymouth“, sagt sie.
„Ah …“ Er runzelte die Stirn. „Ich denke, ich verstehe den Standpunkt Ihrer Mutter.“
Entrüstet starrte Lily ihn an.
„Vermutlich ist es ziemlich kompliziert, eine solche Reise gemeinsam mit einem unschuldigen jungen Mädchen zu unternehmen.“
„Mit einem unschuldigen jungen Mädchen? Ich bin über zwanzig und habe im Zusammenhang mit meiner wohltätigen Arbeit bereits einiges erlebt.“
„Das bezweifele ich nicht. Dennoch sind Sie eine unver heiratete junge Dame. Sie werden unterwegs Wert auf einen Privatsalon in den Gasthöfen legen und häufig Pausen einlegen müssen. Wenn Sie private Einladungen erhalten, muss abgeklärt werden, ob ein lediger Gentleman im gleichen Haushalt lebt. Und natürlich werden Sie ständig eine Anstandsdame benötigen.“
„Das stimmt doch nicht“, widersprach Lily.
„Dann korrigieren Sie mich!“
„Nun, vielleicht darf ich mich zunächst einmal erkundigen, ob Sie Schwestern haben.“
Er schüttelte den Kopf.
„Dann stellt sich natürlich die Frage, woher Sie wissen, wie es ist, mit unschuldigen jungen Damen zu reisen.“
„Lilith!“, stieß ihre Mutter entsetzt hervor.
Lady Dayle hingegen lachte. „Bravo, Miss Beecham. Sie haben Jack geschickt in die Schranken verwiesen. Doch wir wollen nicht schon wieder über ein unpassendes Thema reden.“
Jack wandte sich Lady Ashford zu. „Dann werden Sie und Mrs. Beecham allein reisen?“
„Nein. Mr. Cooperage plant, uns zu begleiten, weil er hofft, unterwegs Spenden für seine Mission in Indien sammeln zu können.“
„Ich wusste es“, murmelte Lily. „Heute erst hat er mir gesagt, dass er es nicht gutheißt, wenn junge Damen etwas von der Welt sehen wollen.“ Dann schaute sie Jack vorwurfsvoll an. „Ich hätte nicht erwartet, dass Sie seine Meinung teilen.“
„Das tue ich nicht. Ich habe nichts dagegen, dass junge Damen Reisen unternehmen. Ich habe nur gesagt, dass es gewisse Probleme mit sich bringt.“ Er hob die Augenbrauen. „Ist Mr. Cooperage der Gentleman, in dessen Gesellschaft Sie sich befanden, als …?“
Sie nickte.
„Und er gehört zu den christlichen Reformern?“
„Ja. Warum fragen Sie?“
„Weil deren Einstellung gegenüber Frauen mich etwas verwirrt.“
„Ach“, meinte Lady Ashford interessiert, „inwiefern?“
„Hannah More beispielsweise beklagt, dass vielen Frauen in unserer Gesellschaft die Bildung verwehrt wird, die sie brauchen, um gute Mütter und moralische Vorbilder zu sein. Aber erwartet nicht auch sie, genau wie die allermeisten der männlichen Reformer, dass Frauen sich auf ihre häuslichen Aufgaben konzentrieren? Nur wenn es darum geht, die Ziele der Reformbewegung – ich denke dabei an die Abschaffung der Sklaverei und einiges andere – zu unterstützen, dürfen und sollen Frauen in der Öffentlichkeit tätig werden.“
„Glauben Sie etwa, Frauen würden nichts von diesen Dingen verstehen?“, rief Lily aus.
„Im Gegenteil. Ich bin der Meinung, man sollte Frauen gestatten, auch in anderen Bereichen aktiv zu werden.“
Ein Lächeln huschte über Lilys Gesicht. Sie wandte sich ihrer Mutter zu und sagte: „Denkst du nicht, dass mir, nach allem, was ich für das Allgemeinwohl getan habe, eine kleine Reise nicht schaden wird?“
„Ich fürchte, Sie haben mich missverstanden“, meldete Jack sich erneut zu Wort. „Es ist sehr leicht, die Öffentlichkeit gegen sich aufzubringen. Deshalb sollten gerade Frauen, die etwas verändern wollen, äußerst
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