Miss Lily verliert ihr Herz
treiben Sie sich in den schlimmsten Vierteln der Stadt herum – was uns glücklicherweise zu Ohren gekommen ist. Sonst wären Sie jetzt tot.“
„Danke für Ihre Hilfe.“
„Verflucht“, brach es aus Eli hervor, „was haben Sie sich bloß dabei gedacht? So unvernünftig benimmt sich eigentlich nur ein Mann, der verliebt ist!“
„Frauen …“, murmelte Aswan. „O Allah …“
Frauen … „Gibt es Neuigkeiten aus Devon?“, versuchte Jack abzulenken.
„Allen geht es gut. Doch niemand hat Neuigkeiten von Batiste. Dabei hat Trey Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um den Kapitän aufzuspüren. Nun hat er von einem alten kranken Seemann gehört, der etwas wissen könnte. Er bittet Sie, Jack, sich um den Mann zu kümmern.“
„Wie heißt er?“
„Crump. Er soll eine Zeit lang auf der ‚Lady Vengeance‘ gefahren sein. Jetzt liegt er im Krankenhaus. Im Seamen’s Hospital.“
„Wäre es nicht besser, wenn Sie mit ihm reden würden, Eli? Sie sind vertraut mit dem Leben, das er geführt hat. Ich hingegen bin nur eine Landratte.“
„Trey sagt, die Chancen, dass dieser Crump was erzählt, sind besser, wenn jemand mit einem Titel ihn befragt.“
„Ich habe keinen Titel“, stellte Jack ungeduldig klar.
„Ihr Bruder hat einen.“
„Also gut, ich werde Charles fragen, ob er mich begleitet.“
„Sie sollen Crump gegenüber auch ihre Verbindung zu diesen religiösen Leuten erwähnen. Er hatte selbst mit ihnen zu tun.“
Jack runzelte die Stirn. „Woher weiß Trey, dass ich Kontakt zu den Mitgliedern der christlichen Reformbewegung aufgenommen habe?“ Plötzlich stand ihm wieder ganz deutlich Lilys Bild vor Augen. Mit einer ärgerlichen Handbewegung versuchte er, es zu vertreiben.
„Trey hat seine Quellen“, stellte Eli mit einem Schulterzucken fest.
„Aber inwiefern können diese Kontakte mir nutzen?“
„Crump scheint fromm geworden zu sein, als er sich von Batiste trennte.“
„Ich bezweifele, dass das alles uns weiterhilft“, meinte Jack. „Aber gut, ich werde mich darum kümmern.“
Auf der Suche nach Ruhe hatte Lily sich, nur begleitet von einem der Lakaien aus Dayle House, in den Park begeben. Das Zwitschern der Vögel, das Grün der Bäume und der Anblick der bunten Blumen taten ihr gut. Mit einem zufriedenen Seufzer ließ sie sich auf eine Bank sinken.
Während der letzten Tage hatte sie in Gedanken immer wieder durchlebt, was sich im Garten von Chester House zugetragen hatte. Zunächst war alles ihr sehr verwirrend vorgekommen. Jacks Verhalten hatte sie zunächst beglückt und dann tief gekränkt. Doch inzwischen war sie zu der Überzeugung gekommen, dass er zumindest in einem recht hatte: Sie verlangte mehr, als irgendein Mensch zu geben bereit war.
Das Problem war, dass Jack Alden der Einzige war, an den sie jemals solche Erwartungen stellen würde. Niemand außer ihm – das wusste sie genau – war in der Lage, diese Sehnsucht in ihr zu wecken. Niemand außer ihm konnte mit einem Kuss oder einer kleinen Zärtlichkeit solche Leidenschaft in ihr aufflammen lassen. Niemandem würde sie sich jemals so nahe fühlen wie ihm. Er hatte nicht nur ihren Körper berührt, sondern auch ihr Herz.
Und dann hatte er sich abgewandt und war geflohen.
Das Merkwürdigste war, dass sie verstand, warum er sich so unmöglich benommen hatte. Ihm musste genauso klar sein wie ihr selbst, dass sie aus verschiedenen Welten kamen und wenig gemeinsam hatten. Außerdem war er ein verschlossener Mensch, jemand, der zwar die gesellschaftlichen Regeln beherrschte, aber im Allgemeinen das Studium seiner Bücher dem Umgang mit seinen Mitmenschen vorzog. Dennoch hat er mir einen Blick in sein Innerstes gestattet, dachte Lily. Er hatte sich ihr geöffnet. Und sie hatte gesehen, dass er sich von ihr genauso heftig angezogen fühlte wie sie sich von ihm.
Wenn er nur nicht von Matthew gesprochen hätte! Sie konnte, sie wollte nicht glauben, dass ihr Cousin in die Machenschaften eines Sklavenhändlers verstrickt war! Auch sprach wenig dafür, dass Jack und sein Bruder in der Lage waren, Matthew zu helfen. Was konnten die beiden schon tun, um ihn von dem – zweifellos unbegründeten – Verdacht zu befreien, etwas Böses getan zu haben? Jack war kein Diplomat, sondern ein Wissenschaftler. Viscount Dayle gehörte zwar dem Oberhaus an, hatte sich aber nach Aussage seiner Mutter nie mit Außenpolitik beschäftigt. Wie also sollten sie Einfluss auf die amerikanischen Behörden nehmen können?
Lily schaute
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