Miss Lily verliert ihr Herz
Lächeln.
„Unsinn? Ja!“ Er lachte. „Wussten Sie etwa nicht, dass das der heimliche Grund für Bälle und ähnliche Gesellschaften ist? Die Menschen sehnen sich danach, Unsinn zu reden.“
Es kostete sie einige Mühe, weiterhin kühl und ablehnend zu bleiben. „Ihre Mutter hat mich vor Ihnen gewarnt“, murmelte sie.
„ Meine Mutter hat Sie gewarnt? Das ist nicht fair. Sie sollte auf meiner Seite stehen!“
„Ihre Mutter ist eine viel zu kluge Dame, als dass sie sich auf irgendeine Seite schlagen würde. Und wenn es doch so weit käme, dann würde Sie sich für meine entscheiden.“
„Zweifellos nur, weil Sie sie hinter meinem Rücken beeinflusst haben. Das ist nicht recht!“ Zu seiner eigenen Überraschung machte das Geplänkel ihm großen Spaß. „Manipulieren Sie meine Mutter besser nicht. Sonst könnte ich mich veranlasst sehen, Ihrer Mutter zu erzählen, wie unglaublich verführerisch Sie heute aussehen.“
Das Blut stieg ihr in die Wangen. „Ich hoffe, ich habe nie etwas gesagt, was Ihnen einen schlechten Eindruck von Mama vermittelt haben könnte. Sie ist ein guter Mensch und hat viel Schweres erleben müssen.“ Ihre Augen blitzten schelmisch auf. „Dazu gehört wohl auch, dass sie eine so eigenwillige Tochter hat.“
„Ich würde niemals schlecht von ihr denken. Es sei denn, sie wüsste das Glück nicht zu schätzen, eine Tochter wie Sie zu haben.“
„Natürlich mag und schätzt sie mich.“ Lily runzelte die Stirn. „Aber sie vermisst das, was sie nie bekommen hat.“
„Nämlich?“
„Einen Sohn.“
Jack schwieg.
Als das Schweigen unbehaglich wurde, sagte Lily: „Anders als mein Vater hatte meine Mutter nie das Talent, irgendetwas leichtzunehmen. Sie hat sehr darunter gelitten, dass sie ihrem Gatten keinen Sohn schenken konnte. Mit jedem Jahr, das verging, fühlte sie sich … wertloser.“
„Aber das ist absurd!“
„Ihnen mag das so vorkommen. Aber niemand kann einem anderen Menschen vorschreiben, was er zu fühlen hat.“ Lily seufzte. „Als ich zehn war, bekam ich tatsächlich einen kleinen Bruder. Meine Eltern waren außer sich vor Freude. Doch im darauf folgenden Winter überschwemmte eine Grippewelle das Land. Er war zu klein, zu schwach, um sich gegen die Krankheit zu wehren.“ Tränen standen ihr in den Augen. Rasch zwinkerte sie sie fort. „Nie habe ich Mama so unglücklich gesehen. Und als dann auch noch mein Vater starb … Ich bin froh, dass wenigstens sie mir geblieben ist.“
„Und sie wird froh sein, eine so wundervolle Tochter zu haben“, sagte Jack. „Meine Mutter, das weiß ich, freut sich sehr, Sie ein paar Wochen bei sich zu haben. Warum sie es für nötig gehalten hat, Sie vor mir zu warnen, begreife ich allerdings nicht.“
Lily holte tief Luft, schüttelte die Trauer ab und lächelte. „Nun, ich gebe zu, dass es mir selbst schwerfiel, es zu verstehen. Sie meinte, Sie seien kein geselliger Mensch. Sie würden Bälle und Ähnliches hassen und deshalb oft schlechte Laune verbreiten.“
Er lachte. „Aber ich genieße diesen Abend!“ Seltsamerweise stimmte das sogar – zumindest seit er Lily gefunden hatte. „Darf ich Sie um einen Tanz bitten?“
Ihre Miene umwölkte sich, und man konnte geradezu sehen, wie ihr Selbstbewusstsein dahinwelkte. „Ich kann nicht tanzen“, flüsterte sie.
Jack hätte sich am liebsten selbst eine Ohrfeige gegeben. Natürlich, als Tochter einer strenggläubigen Mutter durfte sie nicht tanzen, sofern sie es überhaupt jemals gelernt hatte. Trotz allem, was sie ihm über sich erzählt hatte, hatte er tatsächlich vergessen, wie sie erzogen worden war. Ihre Schönheit musste ihn verwirrt haben! Rasch sagte er: „Verzeihen Sie mir. Es hätte mir klar sein müssen. Aber Ihr Anblick hat mir den Atem und den Verstand geraubt.“
Aufs Neue errötete sie.
Wie hinreißend sie aussah! Jack schenkte ihr ein warmes Lächeln. „Begleiten Sie mich auf einer Runde durchs Haus? Mr. Dawson ist ein sehr gebildeter Mann und nennt eine erstaunlich gut sortierte Bibliothek sein Eigen. Vielleicht darf ich sie Ihnen zeigen?“
Sie zögerte.
„Wenn Sie sowieso nicht tanzen, wird niemand sich wundern, dass Sie ein wenig mit mir herumschlendern.“
Jetzt warf sie ihm einen ärgerlichen Blick zu. „Dies ist zwar mein erster Ball, aber ich weiß doch, wie ich mich benehmen sollte.“
Er bemühte sich, wie ein reuiger Sünder auszusehen. „Ich bitte abermals um Verzeihung. Und da ich schon so viel falsch gemacht habe, würde
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