Miss Lily verliert ihr Herz
Stirn, „… ich nicht begreife, warum die Menschen nicht mehr mit unserem guten englischen Essen zufrieden sind. Also, ich habe, wie gesagt, nichts Besondere hier, nur Brot, Käse und kalten Braten. Ich werde rasch alles aus der Vorratskammer holen, und Sie bedienen sich dann bitte selbst, Mr. Alden. Ich muss mich nämlich gemeinsam mit Ihrer jungen Freundin darum kümmern, dass Mrs. Bartleighs Bettwäsche gewechselt wird.“
Jack bedankte sich und ließ sich gleich darauf als einziger Gast in der Gaststube an dem Tisch nieder, auf dem die Wirtin das Frühstück für ihn bereitgestellt hatte. Während er aß, dachte er über das nach, was Lily über ihren und seinen Vater gesagt hatte. Ihre Worte hatten ihn so aufgewühlt, dass er darüber tatsächlich eine Zeit lang vergessen hatte, warum er sie hatte sprechen wollen. In den nächsten Stunden – das war offensichtlich – würde sich wohl keine Gelegenheit ergeben, sie nach ihrem Cousin zu fragen.
Nachdem er seinen Hunger gestillt hatte, machte Jack sich noch einmal auf die Suche nach Mrs. Babbit. „Haben Sie im Stall Platz für mein Pferd?“, erkundigte er sich, als er sie, die Arme voller Bettwäsche, auf dem Weg zur Waschküche traf.
„Ich denke schon. Aber sprechen Sie besser noch einmal mit dem Stallknecht.“ Das tat er, woraufhin der junge Mann ihm versicherte, er könne das Tier nicht nur unterbringen, sondern es auch wesentlich besser füttern, als man das im Mietstall in der Stadt täte. „Möchten Sie, dass ich das Pferd herhole, Sir?“ Seine Stimme klang hoffnungsvoll.
Jack musste ihn enttäuschen. Da er annahm, die körperliche Anstrengung würde ihn beruhigen, wollte er selbst in die Stadt gehen. Doch tatsächlich fand er es ermüdend, und er hatte keinen Blick für das bunte Treiben ringsumher. Plötzlich allerdings hob er den Kopf. Hörte sich das nicht an, als würde jemand mit einer Peitsche geschlagen? Das war ein Geräusch, das er unweigerlich mit Batiste in Verbindung brachte. Zorn wallte in ihm auf, und er beschloss nachzusehen, was vorging.
In einer Seitengasse entdeckte er einen ärmlich gekleideten Mann, der einen Gürtel in der Hand hielt und mit diesem auf den Boden schlug. Vor ihm stand mit gesenktem Kopf ein vielleicht dreizehnjähriger Junge. „Denkst du, es hilft uns, wenn du im Knast landest?“, brüllte der Mann. „Du Nichtsnutz!“
Der Knabe wagte nicht, sich zu rühren.
„Du brauchst ihn nicht zu prügeln“, meldet sich jetzt eine Frauenstimme. „Er weiß, was er zu tun hat.“
„Unsinn! Er hat sich für diese Arbeit gemeldet, damit er den Händler bestehlen kann.“
Bestürzt hob der Junge den Blick. Er schüttelte den Kopf, brachte jedoch kein Wort über die Lippen.
Jack ging weiter. Die Familie würde das Problem allein lösen. Er jedoch fühlte sich plötzlich in seine eigene Kindheit zurückversetzt. Auch ihn hatte der Vater oft als Nichtsnutz beschimpft. Und nicht nur das. Manchmal hatte der verstorbene Lord Dayle seine Gattin, seine älteren Söhne und auch den Hauslehrer angeschrien, weil seiner Meinung nach alle dazu beigetragen hatten, Jack zu einem Schwächling zu machen.
„Er ist so klug“, hatte seine Mutter ihn verteidigt. „Wenn du mehr Zeit mit ihm verbringen würdest, wüsstest du, welch scharfen Verstand er besitzt.“
„Soll ich mich mit ihm über Bücher unterhalten? Ha! Wenn er endlich anfinge, sich für wichtige Dinge zu interessieren, dann würde ich auch mehr Zeit mit ihm verbringen!“
Jahrelang hatten die bitteren Worte seines Vaters ihn verfolgt. Sie hatten maßgeblich dazu beigetragen, dass er sich immer weiter von seinen Mitmenschen zurückgezogen und sich immer tiefer in seine wissenschaftlichen Studien vergraben hatte. Er war fest davon überzeugt gewesen, den richtigen Weg gewählt zu haben.
Abrupt blieb Jack stehen. Es war der richtige Weg! Was hatte er sich nur dabei gedacht, als er in Erwägung zog, wegen Lily sein gesamtes Leben zu ändern? Nun, das Problem war natürlich, dass er gar nicht gedacht, sondern auf sein Gefühl gehört hatte. Das musste ein Ende haben! Bei Jupiter, sagte er sich, ich war zufrieden mit meinem Dasein, ich will nicht wieder leiden so wie damals.
Er erreichte den Mietstall, regelte dort alles in kürzester Zeit, schwang sich in den Sattel und ritt zum Wood Grove Inn. Dort übergab er das Tier dem Stallknecht und begab sich selbst zum Haus. Im Flur traf er auf Mrs. Babbit. Noch ehe er auch nur Guten Tag sagen konnte, drückte sie ihm ein
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