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Miss Mary und das geheime Dokument

Titel: Miss Mary und das geheime Dokument Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Melikan Stephanie Kramer
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Henry V. Das Dorf, in dem die Engländer vor der Schlacht von Agincourt kampierten, hieß Maisoncelles. An seinem Lebensabend hatte ein Veteran nahe der Themse ein Speisehaus eröffnet, von wo aus auch heute noch das Kommen und Gehen der Soldaten und Matrosen beobachtet werden konnte. Der Name war zum Andenken an den großartigen Sieg bei Maisoncelles gewählt. Nur aufgrund des Unwissens späterer Generationen verkam er zu dem heutigen nüchternen Namen.
    So erzählte man es sich jedenfalls, und vielleicht steckte sogar ein Funken Wahrheit darin. Das Mace & Cells gab es zweifelsohne schon seit ewigen Zeiten. Mit seiner verputzten Fassade und den kleinen, dunklen Fenstern wirkte es an sich nicht reizlos, aber die bittere Armut und Trostlosigkeit der heutigen Umgebung färbte ab. Das Haus gehörte zu einem Gebäudeensemble, wo man willkürlich ein Haus neben das andere gesetzt oder mehrere ineinander verschachtelt gebaut hatte, damit sie sich so gegenseitig Halt gaben.
    Nachdem er ein Stück die Gasse entlanggelaufen war und nun im Schatten eines Hauseingangs stand, bemerkte Holland: »Hier ist es.« Als Déprez Anstalten machte, noch weiter zu gehen, warnte er: »Gehen Sie nicht näher heran.«
    »Wollen Sie denn nicht hineingehen?«
    Holland schüttelte den Kopf. »Wenn da zwei Fremde auftauchen, erweckt das Misstrauen. Und so, wie Sie gekleidet sind?«
    »Haben Sie das nicht längst gemacht?«, beschuldigte ihn Déprez, »Sie haben doch schon die Einheimischen hier alarmiert, als Sie sich nach dem Weg erkundigten!«
    »Aber ich habe doch nicht nach dem Mace gefragt«, erklärte Holland lächelnd, »sondern da drüben nach dem Haus mit der roten Tür. Oben unterm Dach findet man angeblich ein paar Mädchen. Da ist für … jeden Geschmack etwas dabei.«
    »Verstehe«, sagte Déprez, der nun ebenfalls grinsen musste. »Und darf ich noch fragen, ob Sie für mich oder für sich selbst gefragt haben?«
    »Für Sie«, gestand Holland. »Ich sagte, Sie wären zu schüchtern, um das selbst zu machen.«
    »Hol Sie der Teufel«, sagte Déprez und lachte. »Aber woher wussten Sie, dass das hier ist?«
    »Das wusste ich gar nicht. Ich habe ihm nur gesagt, wonach ich suche … und dass ich von einem Haus in der Nähe der St. Catharine’s Alley gehört habe.War einfach ein Zufallstreffer.«
    »Wahrlich ein Zufall.« Déprez blickte Holland nachdenklich an. »Nun, dann nehme ich mal an, unsere Arbeit hier ist erledigt, es sei denn, Sie beabsichtigen noch herauszufinden, ob die jungen Ladys ihren guten Ruf auch verdienen.«
    » Ihre Arbeit ist erledigt.« Holland war nun wieder kurz angebunden.
    »Aber Sie können doch jetzt nicht alles einfach auf sich beruhen lassen … bei allem, was wir entdeckt haben.«
    »Das tue ich auch nicht. Ich werde nach Woolwich fahren, aber damit haben Sie nichts zu schaffen.« Holland zögerte. »Erinnern Sie sich noch daran, was wir vereinbart haben? Dass Sie nicht versuchen werden, auf eigene Faust zu handeln?«
    »Das habe ich nicht vergessen«, sagte Déprez. »Sie... trauen mir nicht, oder?«
    »Würd ich so nicht sagen - aber ich kann es nicht leiden, wenn Zivilisten ihre Nase in Angelegenheiten stecken, die nur das Militär was angehen. Ich werde über die Brücke gehen, wenn Sie wollen, kann ich Sie vorher aber noch zum Tower zurückbegleiten.«
    Déprez schüttelte den Kopf. »Nein, nur keine Umstände. Ich komme gut allein zurecht.«
    »Dann auf Wiedersehen.« Sie gaben sich die Hand.
    Holland war erst ein paar Schritte gegangen, da brach eine Explosion über ihn herein, die ihn in eine weiße Lichtkugel einhüllte. Er torkelte, und für ein paar Sekunden spürte er einen alles durchdringenden Schmerz. Dann ging er zu Boden.
    Déprez beugte sich über ihn und fühlte seinen Puls. Dann drehte er Holland auf den Rücken. Eine Gesichtshälfte war mit Dreck beschmiert, und aus einer Wunde an der Stirn tropfte Blut. »Sie sind zu sehr darauf erpicht, von mir wegzukommen, mein Freund«, murmelte Déprez, »das geht so leider nicht.«
     
    Nach seiner Ankunft in London ging Joseph Sehler nicht auf direktem Wege an den sicheren Ort. Seine Flucht aus Waltham Abbey war zu überstürzt gewesen, und die Angst, festgenommen zu werden, zu groß, als dass er einfach dorthin gehen konnte, wo man ihn kannte, selbst wenn es ein Ort war, der ihm in der Vergangenheit immer Schutz geboten hatte. Deshalb versteckte er sich: zuerst in einem namenlosen Lokal, wo er hoffte, ihn würde niemand beachten, und dann,

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