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Miss Mary und das geheime Dokument

Titel: Miss Mary und das geheime Dokument Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Melikan Stephanie Kramer
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mich. Ich sage das natürlich unter Vorbehalt, ich dachte nämlich, bei der Artillerie geht man auf die Akademie, bevor sie einen zum Offizier ernennen.«
    »Das stimmt. Da war ich mit zwölf. Als wir klein waren, sollten wir … etwas über künstlerische Dinge lernen, aber der Kerl, der uns unterwies, war die meiste Zeit sternhagelvoll, und in nüchternem Zustand schlug er uns. Später brachten uns Männer, die in der Lage waren, ihr Schnapsglas gerade zu halten, etwas über Befestigungen, Mathematik und Landvermessung bei.«
    »Das waren sicher die wichtigen Fächer«, pflichtete Déprez ihm bei, »aber …«
    »Ich weiß, die anderen lassen einen gebildeter erscheinen«, fügte Holland hinzu, »und die Leute glauben, nur wenn man über Shakespeare reden kann, ist man ein begehrter Junggeselle.«
    »Ja, das tun sie bestimmt, obgleich ich mehr an das Vergnügen bei der Sache dachte. An die Schönheit und Kraft großer Literatur.« Déprez wartete auf eine Entgegnung. Vergeblich.
    Das Areal um den Tower war ebenfalls sehr belebt, wenn auch mit anderem Publikum: Allenthalben standen Besucher, die zu dem mittelalterlichen Mauerwerk emporblickten oder in der Schlange warteten, um die wilden Tiere zu sehen, und dienstfreie Soldaten, die einfach nur herumschlenderten. Dazwischen liefen Straßenverkäufer umher, die Pfefferkuchen und heiße Kastanien feilboten, sowie Kinderbanden auf der Jagd nach großzügigen Almosengebern und unaufmerksamen Besuchern. »Passen Sie besser auf Ihren Geldbeutel auf«, riet Holland Déprez, als sie sich mit den Schultern einen Weg durch die Menge bahnten. »Der ist mir nichts, dir nichts weg, wenn Sie nicht achtsam sind.«
    Déprez hatte bereits einige Male bemerkt, wie ihm ein Beutelschneider zu Leibe rücken wollte. Da er sich aber sicher war, derartige Delikte vereiteln zu können, tat er ebendies, ohne großes Aufhebens darum zu machen. Stattdessen fragte er, welches das Traitor’s Gate sei.
    »Auf der anderen Seite. Gefürchtete Verbrecher brachte man über das Wasser durch dieses Tor in den Tower.«
    »Ja, verstehe«, sagte Déprez und sah sich um. »Vermutlich wesentlich sicherer so.«
    Sobald sie den Tower hinter sich gelassen hatten, sah der Weg nicht mehr sehr einladend aus. Zum einen lag das daran, dass der Nachmittag fortschritt und der Himmel sich zu einem trüben Grau verdunkelt hatte. Zum anderen waren die Gassen recht eng. Links und rechts standen hohe, baufällige Häuser, die das Licht nahmen. Die meisten standen ganz oder teilweise leer. Nur ein Stofffetzen, welcher aus einem der oberen Fenster hing, oder eine Wäscheleine weit oben über der Straße wiesen noch auf Bewohner hin. Im Parterre gab es fast keine Kaufmannsgewölbe mehr. Geschäfte machten in erster Linie noch Leihhäuser und Spelunken, während in Hausecken gedrängt stehende, nachlässig gekleidete, blasse Frauen und Mädchen eine andere Beschäftigung nahelegten.
    »Mein Gott, was für ein Ort«, murmelte Déprez. Sie waren stehen geblieben, weil Holland kurz mit einem Straßenhändler sprach, der alte Kleidung feilbot. »In so einem Schuppen würde ich nicht mal einen Hund hausen lassen, und jetzt … Himmel, dieser Gestank.«
    »Ja, nicht sehr angenehm«, stimmte Holland ihm zu, als der Händler sein Kleiderbündel schulterte und in die Richtung fortzog, aus der sie gekommen waren. »Kommen Sie, hier geht’s lang.«
    Während er sprach, drehte sich der Wind, sodass sie nicht nur den beißenden Geruch von Dreck und billiger Kohle, sondern auch den umherwirbelnden Rauch aus stümperhaft gebauten Schornsteinen einatmen mussten. Die Verbindung von beidem löste bei Déprez einen Hustenanfall aus und trieb ihm Tränen in die Augen. Er schaute nach oben auf die trüben Fensterscheiben. Die meisten waren nicht erleuchtet, nur in einigen wenigen flackerte eine Kerze, oder man sah einen Schatten vorbeihuschen. Er hatte das ungute Gefühl, ihm nicht wohlgesinnte Augen beobachteten ihn. »Wenn einer von uns ohnmächtig würde und hinfiele«, überlegte er, »dann brächte man ihn wohl nicht um, sondern würde ihn nur ausrauben, aber ich möchte ungern die Probe aufs Exempel machen.«
    »Ich auch nicht. Und es ist besser, wenn man sich hier nicht zu neugierig zeigt oder durchblicken lässt, dass man sich verlaufen hat.«
    Am Ende der dunklen, engen Gasse mit kaputtem Kopfsteinpflaster, das fast im Morast versank, fanden sie das Mace & Cells. Man sagte, der Name verweise auf ein berühmtes Abenteuer von König

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