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Miss Mary und das geheime Dokument

Titel: Miss Mary und das geheime Dokument Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Melikan Stephanie Kramer
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sich am besten für junge Damen - würden Sie mir da zustimmen, Gentlemen?«
    Mr. Hunnable gab ein schwaches Meckern von sich, aber Déprez runzelte die Stirn. »Ich fürchte, da kann ich nicht zustimmen. Wir glauben gerne - wir Männer meine ich -, dass Frauen die höheren Kunstformen nicht verstehen und sich mit Banalem oder Sensationellem zufriedengeben. Aber das liegt allein an unserer Selbstüberschätzung und hat mit der Wirklichkeit nur wenig zu tun.«
    Mr. Somerville schüttelte nachsichtig den Kopf. »Das grenzt ans Philosophische, was Sie da sagen, Sir. Aber ich erinnere mich dunkel an ein Zitat über die schönere Gestalt und das schwächere Gefäß - und was ist mit der Bibel? Die Töchter Evas und so weiter? Was sagen Sie denn dazu, Mr. Hunnable?«
    »Nun, ich würde wohl kaum behaupten wollen …«
    »Selbstverständlich beuge ich mich Mr. Hunnables Meinung bezüglich der Töchter Evas«, erwiderte Déprez ernsthaft, »aber meiner Erfahrung nach ist eine Dame mit Geschmack und Intelligenz ebenso gut in der Lage, Literatur, Dichtkunst oder Philosophie wertzuschätzen wie ein Mann. Und Miss Finch ist, glaube ich, eine Frau, auf die diese Beschreibung zutrifft.«
    Mary spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss, aber es machte ihr nichts aus. Sie fand es sogar besonders erfreulich, gesagt zu bekommen, ihre Bildung mache sie den meisten Männern überlegen, insbesondere jenen, denen es an Selbstreflexion mangelte. Obgleich sie derselben Meinung war, überraschte es sie, einen Mann vor sich zu haben, der ihre Meinung teilte. Warum hatte nur keine ihrer Kolleginnen bei Mrs. Bunbury einen solchen Bruder wie Mr. Déprez gehabt?
    »Aber, aber, Sir!«, protestierte Mr. Somerville. »Sie zwingen mich, zur Verteidigung des männlichen Geschlechts in den Kampf zu ziehen. Captain Holland, werden Sie mir helfen?«
    »Ich glaube, das kann ich nicht, Sir«, wandte Holland ein. »Ich gehöre wohl zu diesen dumpfen, geistlosen Gesellen, von denen Mr. Déprez sprach.«
    »Keineswegs«, rief Déprez aus. »Sie missverstehen mich, Sir; ich wollte Sie damit mitnichten beleidigen, denn ich habe große Hochachtung vor der Wissenschaft, und Sie gehen doch einer wissenschaftlichen Arbeit nach, nicht wahr?«
    »Ja, das kann man so sagen. Ich habe auch schon gehört, dass man meine Arbeit als ›heroisch‹ beschrieben hat, aber so weit würde ich nicht gehen.«
     
    Auf der Fahrt zurück zu Mrs. Tiptons Anwesen herrschte eine andere Stimmung als auf der Hinfahrt. Es gab nichts Dringliches mehr zu erledigen, und der eine oder andere fühlte sich ziemlich matt. Der Regen kehrte zurück, und das stetige Getrommel auf dem Kutschendach verstärkte noch die gedämpfte Stimmung. Auch die Unterhaltung konnte da keine Abhilfe schaffen. Die jüngsten Ereignisse und Mr. Somervilles Erfahrung als Friedensrichter ließen alle zu dem Schluss gelangen, dass die Schmuggler sich auf White Ladies sehr gut ausgekannt hatten. Die Lage des Anwesens nahe dem Meer und günstige Landeplätze in der Umgebung machten es zu einem geeigneten Depot für die Zwischenlagerung von Schiffsladungen vor ihrem Weitertransport ins Landesinnere. Solche Depots waren unentbehrlich für Operationen, die bis nach London reichen konnten. Nach Mr. Finchs Tod hatten die Schmuggler wohl sein Anwesen in Besitz genommen. Da er keine Familie in der Nähe besaß, hatten sie demnach vermutet, das Haus würde einige Zeit leer stehen.
    »Was Ihren … Zwischenfall anbelangt, so sind Sie da wohl dem Schmugglerring in die Quere gekommen«, vermutete Mr. Somerville. »Die Bande erfuhr von Ihrer Anwesenheit, und da man Sie für eine potenzielle Gefahr hielt, beschloss man, Sie gewissermaßen hinter Schloss und Riegel zu bringen.«
    »Aber in welcher Hinsicht hätten wir für sie eine Gefahr darstellen können?«, wollte Mary wissen. »Sie scheinen keine Ladung an Land gebracht zu haben, und im Haus haben wir auch nichts vorgefunden. Warum ließen sie uns nicht einfach kommen und wieder gehen?«
    »Ach, Schmuggler sind sehr misstrauisch«, erwiderte Mr. Somerville. »Und dass auch noch ein Armeeoffizier auftauchte, hat ihnen sicher einen gehörigen Schreck eingejagt. Aber ich will damit nicht Captain Holland die Schuld für die Geschehnisse geben. Sie beide waren Fremde, und das reichte.«
    »Ja, ich verstehe«, sagte Mary und nickte, »und dass wir nach White Ladies wollten, war kein Geheimnis, vor allem nicht - ach ja, ich habe fast die Sache mit dem Crown vergessen.«
    »Crown?«,

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