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Miss Mary und das geheime Dokument

Titel: Miss Mary und das geheime Dokument Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Melikan Stephanie Kramer
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abgenutzte Tasche auf, die er dort abgestellt hatte.
    »Haben Sie wirklich vor, zu Fuß nach Woolthorpe zu gehen?«, insistierte Mr. Hunnable. »Bis dorthin sind es ungefähr acht Meilen, und ich fürchte, bei dem Wetter wird es kein angenehmer Marsch werden.«
    »Keine Sorge, Sir. Etwas Regen macht mir nichts aus, und ich möchte mir die Beine vertreten nach der Kutschfahrt. Ich bin doch fremd hier, und ich finde, zu Fuß kann man die Gegend am besten erkunden.«
    Mary sah ihm nach, bis er außer Sichtweite war. Dann drehte sie sich zu Mr. Hunnable um. »Was für eine seltsame Person. Was er wohl mit Mr. Déprez zu schaffen hat?«
    »Wie belieben? Seltsam? Das glaube ich nicht. Vermutlich ein Geschäftsmann.«
    »Ja, vielleicht, aber käme ein Geschäftsmann den ganzen Weg von London hierher? Ich hätte ihn eher für einen Beamten gehalten, aber mir schien er … Seine Stimme war nicht ganz … oder sein Tonfall...« Einen Moment lang dachte Mary nach, dann kräuselte sie die Stirn. »Ich kann nicht genau erklären, was ich meine, aber vom Zuhören, und ohne auf seine Kleidung zu achten, könnte ich nicht genau sagen, ob er ein Beamter, Arbeiter oder ein studierter Mann ist. Der Stimme nach zu urteilen, hat er von allen dreien etwas.«
    »Nun, Fremde kennen alle möglichen merkwürdigen Personen. Wenn Sie mich fragen, sind sie selbst ziemlich merkwürdig.« Eine besonders starke Windbö brachte Mr. Hunnable aus dem Gleichgewicht. »Meine Güte. Hoffentlich wird der Arme nicht weggeweht. Besonders kräftig sah er ja nicht gerade aus. Lassen Sie uns reingehen, Miss Finch, raus aus dem Sturm. Meine Haushälterin hat versprochen, dass es Kuchen gibt, oder vielleicht ziehen Sie ja Hefegebäck vor?«
     
    Mr. Déprez dinierte an diesem Abend nur mit Mrs. Somerville, denn ihr Gatte war in Ipswich aufgehalten worden. Später zog er sich dann in seine Kammer zurück, wo er sich noch mit dem erst kurz zuvor eingetroffenen Hicks unterhielt. Es wäre falsch, die beiden Freunde zu nennen. Dafür herrschte eine zu geringe Ähnlichkeit zwischen ihnen. Déprez war jung und erfolgreich, während Hicks vom Leben geschlagen und scheinbar bankrott auf der Insel St. Lucia gestrandet war. Seitdem waren allerdings bereits einige Jahre ins Land gegangen. Dennoch respektierten beide sich aufrichtig und sprachen - zumindest wenn sie unter sich waren - auf Augenhöhe und vorbehaltlos miteinander.
    Schon als er die Tür öffnete und Hicks in einer scheinbar unbequemen Position im Armsessel sitzen sah, wusste Déprez, wie Hicks zumute war. Leise schloss er die Tür hinter sich und lehnte sich dagegen. »Du willst mir sagen, dass aus unseren Plänen nichts wird«, sagte er mit einem Lächeln um die Lippen.
    »Nein«, murmelte Hicks, »aber es stimmt.«
    »Wohl wahr, die Lage ist nicht so, wie ich sie mir gewünscht hätte oder wie sie mir noch vor ein paar Tagen zu sein schien«, gestand Déprez ein, »aber ich denke nicht, dass sie aussichtslos ist.«
    Hicks zuckte mit den Achseln. »Du warst immer schon übertrieben optimistisch.«
    »Und du übertrieben pessimistisch«, entgegnete Déprez, »was bedeutet, dass wir uns ergänzen. Ist dir kalt?«, fragte er, als Hicks in den glühenden Kohlen stocherte und noch mehr nachlegte. »Ich wollte soeben vorschlagen, ein Fenster zu öffnen.« Déprez knöpfte seine Weste auf und setzte sich auf einen Stuhl, den Hicks entgegenkommenderweise für ihn vom Feuer weggeschoben hatte. »Mrs. Somerville ist eine äußerst fürsorgliche Gastgeberin, aber die schwer verdaulichen Gerichte, die sie zubereiten lässt, sind fatal für ihre Gäste. Wenn ich noch länger auf Woolthorpe Manor bleiben sollte, werde ich unweigerlich einen Schlaganfall erleiden.«
    Hicks lachte, äußerte sich jedoch nicht zu Déprez’ Diät oder möglichen Konsequenzen seiner Essgewohnheiten. »Ich glaube, das alte Fieber sucht mich wieder heim, neu angefacht durch das nasskalte Wetter in England. Ich hatte schon vergessen, wie mörderisch es sein kann.«
    »Du hättest eben nicht zu Fuß von Lindham herkommen sollen, das war vollkommen verrückt!«
    »Das gibt sich wieder«, meinte Hicks und zuckte mit den Achseln, »nach ein oder zwei Tagen vergeht das immer, und zu Fuß konnte ich gut herumschnüffeln.«
    »In der Tat. Und was ist herausgekommen bei deinem … Herumschnüffeln?«
    »Nun, der Schmuggelei hat man einen Riegel vorgeschoben. Eine ganze Weile wird es keinerlei Fracht mehr geben. Die Geschichte auf White Ladies hat dem

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