Miss Pettigrews grosser Tag
stieg ihr zu Kopf wie ein Cocktail. Angesichts ihrer ausgefallenen Bemerkungen fühlte Miss Pettigrew sich ungeheuer kultiviert. Und wie wacker sie sich hielt! Niemand würde je auf die Idee kommen, dass sie ein Neuling auf diesem Gebiet war.
»Ich hätte nie geglaubt«, dachte Miss Pettigrew voll Stolz, »dass ich das Zeug dazu habe.«
Strahlend blickte sie zu Miss Dubarry, die finster in das elektrische Kaminfeuer starrte und nichts von der Hochstimmung bemerkte, die sie bei der Freundin ihrer Freundin Delysia ausgelöst hatte. Miss Pettigrew fand, sie müsse etwas unternehmen, um Miss Dubarrys Kümmernis zu lindern. Sie schwang sich zu ungeahnten Höhen auf. Unbekümmert, zwanglos, nonchalant, so wie sie es aus zahllosen Tonfilmen kannte.
»Wie wär’s mit einer kleinen Stärkung.«
Miss Dubarrys Miene heiterte sich auf.
»Das ist eine gute Idee. Die Frau schickt der Himmel.«
Miss Pettigrew begab sich ein weiteres Mal zum Küchenschrank und kehrte mit einem vollbeladenen Tablett zurück, auf dem so gut wie alle Flaschen standen, die sie hatte entdecken können.
»Vielleicht mixen Sie sich lieber selbst etwas zusammen«, sagte sie beiläufig. »Jedem sein eigenes Gift, sage ich immer.«
Miss Dubarry erhob sich bereitwillig.
»Nur ein bisschen Gin, denke ich, und … wo ist der Limettensaft? Ah! Da. Ja, ich denke, ein Gimlet wäre jetzt genau das Richtige für mich.«
Miss Pettigrew sah ihr unauffällig, aber aufmerksam zu. »Was soll’s für Sie sein?«, fragte Miss Dubarry entgegenkommend.
Miss Pettigrew zuckte zusammen.
Sie wollte schon ablehnen, überlegte es sich dann jedoch anders. Dies war nicht der rechte Augenblick für Zimperlichkeit. Von einer Gastgeberin wird erwartet, dass sie ihrem Gast beim Trinken Gesellschaft leistet.
»Ich mixe mir selbst etwas zusammen«, sagte sie verwegen.
»Okay.«
Miss Dubarry nahm mit ihrem Drink wieder Platz. Miss Pettigrew goss sich hastig ein Glas Sodawasser ein und versetzte es mit ein paar Tröpfchen Sherry, damit es echt wirkte. Dann setzte auch sie sich wieder.
»Prost Mahlzeit«, sagte Miss Dubarry.
Miss Pettigrew kannte keine schlagfertige Erwiderung darauf, also erfand sie eine.
»Händewaschen nicht vergessen«, sagte sie.
Sie ließen es sich munden.
»Noch einen?«
»Wohl besser nicht«, sagte Miss Dubarry zögernd. »Ich meine, wir sollten lieber nüchtern bei den Ogilveys ankommen. Wenn wir gehen, sind wir ja praktisch immer betrunken.«
»Genau«, pflichtete Miss Pettigrew bei.
»Und falls Tony da ist, muss ich meine fünf Sinne beisammen haben.«
»Exakt«, sagte Miss Pettigrew.
»Also nehme ich lieber keinen mehr.«
»Die Bar ist geschlossen«, sagte Miss Pettigrew.
»Na ja, vielleicht nur einen Spritzer«, sagte Miss Dubarry.
Sie verhalf sich zu dem Gewünschten. Schon jetzt wirkte sie sehr viel munterer. Ihre Leichenbittermiene war so gut wie verschwunden. Sie beäugte Miss Pettigrew mit angeregter Neugier und ging ohne Umschweife daran, ihre Wissbegierde zu stillen.
»Freundin von Delysia?«
Miss Pettigrew starrte auf ihre Zehen, blickte zu der geschlossenen Schlafzimmertür und zurück zu Miss Dubarry. »Ja.«
»Eng befreundet.«
»Sehr«, schwindelte Miss Pettigrew.
»Tja«, erwiderte Miss Dubarry. »Ich sage immer: ›Delysias Freunde sind auch meine Freunde.‹«
»Danke sehr.«
»Sie sieht in Leuten Dinge, die ich nicht sehe, und sie hat immer recht, darum lasse ich mich von ihr dirigieren.«
Das hörte sich für Miss Pettigrew ein wenig zweifelhaft an, weshalb sie es als Antwort bei einem Lächeln beließ.
»Neu in London«, stellte Miss Dubarry scharfsinnig fest.
Miss Pettigrew verzichtete auf den Hinweis, dass sie in den vergangenen zehn Jahren stets in und um London in Stellung gewesen war. Plötzlich war es ihr peinlich, das zuzugeben. Offensichtlich hatte sie von dieser vorteilhaften Lage nicht profitiert.
»Ich bin in einem Dorf in Northumberland zur Welt gekommen«, sagte sie ausweichend.
»Ah!«, sagte Miss Dubarry vergnügt. »Schottland.«
»Hm. Nicht ganz.«
»Das ist weit weg von London«, bemerkte Miss Dubarry düster.
»Ja. Das ist es.«
»Und jetzt auf Dauer hier?«
»Ich hoffe es.«
»Ah. Sie werden sich bald zurechtfinden. So was wie London gibt’s kein zweites Mal. Braucht seine Zeit, wissen Sie. Aber Sie werden die Provinz schnell hinter sich lassen.«
»Meinen Sie?«
»Ganz zweifellos, mit ein bisschen fachmännischer Unterstützung.«
Miss Dubarry erhob sich unvermittelt und
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