Miss Pettigrews grosser Tag
ging einmal im Kreis um Miss Pettigrew herum, mit festem Blick und konzentrierter Miene. Miss Pettigrew saß wie angenagelt. Miss Dubarry runzelte die Stirn. Sie nahm Miss Pettigrews Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger. Schüttelte den Kopf. Und kläffte plötzlich los:
»Warum tragen Sie diese schlammigen Brauntöne? Das ist nicht Ihre Farbe.«
»Oh!« Miss Pettigrew fuhr zusammen.
»Ganz sicher nicht. Wo ist Ihr Geschmack? Wo ist Ihr künstlerisches Urteilsvermögen?«
»Ich besitze nichts dergleichen«, sagte Miss Pettigrew betreten.
»Und Ihr Make-up ist auch verkehrt.«
»Make-up!«, japste Miss Pettigrew.
»Make-up.«
»Ich?«, stieß Miss Pettigrew schwach aus.
»Sie.«
»Ich trage keines.«
»Kein Make-up«, sagte Miss Dubarry erschüttert. »Wieso nicht? Es gehört sich nicht, nackt durch die Gegend zu l aufen.«
Miss Pettigrew starrte sie verdutzt an. Ihr schwirrte der Kopf; ihre Gedanken waren ein einziger Wirrwarr. Ihr wurde ganz schwindlig. Ja, wieso? In all den Jahren hatte sie nie den frivolen Kitzel gekannt, sich die Nase zu pudern. Andere hatten solche Freuden erlebt. Sie niemals. Und alles nur, weil es ihr an Mut fehlte. Weil sie nie einen eigenständigen Gedanken gefasst hatte. Puder, dröhnte ihr Vater, der Hilfsgeistliche: der Weg zur Verdammnis. Lippenstift, wisperte ihre Mutter: der erste Schritt in den Abgrund. Rouge, schäumte ihr Vater: die Verlockung der Metze. Augenbrauenstift, hauchte ihre Mutter: keine Dame …!
In Miss Pettigrews Hirn herrschte wilder Aufruhr. War es eine Sünde, aus dem Schlimmsten das Beste zu machen? Sie setzte sich auf. Ihre Augen gewannen an Glanz. Was in ihr an Weiblichkeit vorhanden war, richtete sich auf die eine bedeutsame, ernsthafte, gewaltige Aufgabe aus, Gottes Werk zu verschönern. Dann besann sie sich. Sank zurück.
»Ach!«, sagte sie tonlos, mit umwölkter Miene. »Meine Liebe … in meinem Alter. Bei meinem Teint.«
»An Ihrem Teint gibt es nichts auszusetzen.«
»Nichts auszusetzen?«, fragte Miss Pettigrew ungläubig.
»Kein Tüpfelchen, kein Fleckchen, kein Makel. Sie brauchen nur etwas Farbe! Wer will schon den natürlichen Hautton? Der ist nie der richtige.«
Miss Dubarry beugte sich vor und betrachtete aufmerksam Miss Pettigrews Gesicht, neigte es hierhin und dorthin, beklopfte ihre Haut, befühlte ihr Haar.
»Hmmm! Eine gute Reinigungscreme. Ein hochwirksames Gesichtswasser, um die Muskulatur zu straffen. Augenbrauen definitiv dunkler. Bin mir noch nicht ganz sicher
mit dem Haar. Nussbraun, denke ich. Der Teint braucht Farbe. Definitiv Farbe. Unterstreicht das Blau der Augen. Gesicht hat eine Komplettbehandlung nötig. Erschreckend vernachlässigt.«
Unvermittelt hielt sie inne und sah Miss Pettigrew verlegen an.
»Ach du meine Güte! Sie müssen mir verzeihen. Da geht wieder der Gaul mit mir durch. Ich bin vom Fach, wissen Sie, und da regt sich natürlich mein berufliches Interesse.«
»Lassen Sie sich nicht aufhalten«, hauchte Miss Pettigrew. »Bitte, lassen Sie sich nur nicht aufhalten. Ich finde es herrlich. Noch nie hat sich irgendwer für mein Gesicht interessiert.«
»Das sieht man«, sagte Miss Dubarry streng. »Nicht einmal Sie selbst.«
»Ich hatte nie die Zeit dazu«, verteidigte sich Miss Pettigrew.
»Unfug. Sie hatten immer Zeit, sich zu waschen, oder? Sie haben Zeit, ein Bad zu nehmen. Sie haben Zeit, sich die Nägel zu schneiden. Für eine Frau steht an erster Stelle ihr Gesicht. Ich muss mich über Sie wundern.«
»Ach!«, seufzte Miss Pettigrew verzagt. »Ich bin doch schon lange über das Alter hinaus …«
»Keine Frau ist jemals über das Alter hinaus«, sagte Miss Dubarry grimmig. »Je mehr Jahre verstreichen, desto mehr Grund zur Pflege. In Ihrem Alter sollten Sie das allmählich wissen.«
»Ich hatte nie das Geld dazu.«
»Ah!«, sagte Miss Dubarry verständnisvoll. »Das ist etwas anderes. Sie glauben ja gar nicht, was es mich kostet, mein Gesicht instand zu halten, und ich bin aus der Branche, das heißt ungefähr neunundneunzig Prozent Rabatt.«
Sie griff nach ihrer Handtasche.
»Hier haben Sie meine Karte. Kommen Sie damit, wann immer es Ihnen passt, man wird Sie nach Strich und Faden verwöhnen. Wie schon erwähnt, Delysias Freunde sind auch meine Freunde. Wenn ich es einrichten kann, nehme ich Sie mir selbst vor. Andernfalls bekommen Sie die Beste, die gerade frei ist.«
»Das wäre ja fabelhaft.« Miss Pettigrew schluckte und nahm die Karte mit bebenden Fingern entgegen.
»Edythe
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