Miss Pettigrews grosser Tag
engstirnig. Ich habe noch nie etwas Reizenderes gesehen als Miss LaFosse, wie sie da vor mir steht.«
Miss LaFosse betrachtete sich sachlich und beifällig zugleich im Spiegel.
»Man soll sich ja nicht selbst loben«, sagte sie, »aber ich finde, ich habe eine hübsche Figur. Oder was meinen Sie? Wissen Sie, für meinen Beruf ist das so ungemein wichtig. Ist die Figur dahin, sind auch die Bewunderer dahin. Man muss in Form bleiben.«
»Sie haben die entzückendste Figur, die ich je gesehen habe«, sagte Miss Pettigrew.
Miss LaFosse strahlte.
»Sie sagen immer solch reizende Dinge. Bei Ihnen muss sich einfach jeder wohl in seiner Haut fühlen.«
Sie schlüpfte in einen Hauch aus Seide und Spitze. Miss Pettigrew stieß einen kleinen erleichterten Seufzer aus. Sie war durchaus gewillt, ihren Horizont zu erweitern, fand aber auch, in ihrem Alter dürfe man nichts überstürzen.
»Was für ein Chaos!«, rief Miss LaFosse aus. »Wissen Sie, mir ist mein Hausmädchen abhandengekommen, und ich kann einfach keine Ordnung halten, wenn ich selbst nach etwas zum Anziehen suchen muss. So. Welches soll es sein?«
Sie hielt zwei Kleider hoch. Miss Pettigrew holte tief Luft. Beide waren schlicht atemberaubend, beide eines Filmstars würdig. Das eine wies Muster in kräftigen Farben auf mitternachtsblauem Untergrund auf. Das andere war schwarz, mit einem hohen Kragen in Silber und weiten, durchsichtigen Ärmeln, die an den Handgelenken mit silbernen Bändern zusammengehalten wurden, sowie einem silbernen Gürtel um die Taille. Miss Pettigrew gefielen beide. Es war ihr gleich, welches davon Miss LaFosse trug, doch sie setzte eine feierliche, kundige Miene auf und wies entschieden auf das schwarze. Mit Schwarz lag man immer richtig.
»Das da«, sagte sie. »Zu Ihrem hellen Haar und Teint und Ihren blauen Augen … perfekt.«
Miss LaFosse zwängte sich in das schwarze Kleid. Miss Pettigrew half ihr mit den Verschlüssen.
»Sie sind beide neu«, sagte Miss LaFosse. »Eigentlich wollte ich Nick die Rechnung geben, aber wenn ich nun mit ihm brechen will, ist es wohl nur anständig, wenn ich sie Phil schicke, oder?«
»Zweifellos«, sagte Miss Pettigrew matt.
Miss LaFosse setzte sich vor den Spiegel, um sich dem wichtigsten Ritus überhaupt zu unterziehen, der kunstvollen Gesichtsverschönerung. Auf dem Schminktisch standen unzählige Flaschen und Tiegel.
»Alice«, sagte Miss LaFosse, »nun setzen Sie sich doch. Langes Stehen macht müde.«
Seit sie mit achtzehn ihre erste Stelle angetreten hatte, war Miss Pettigrew nie mehr so umsorgt worden. Rundum glücklich zog sie einen Stuhl heran und nahm neben Miss LaFosse Platz.
»Verzeihung«, sagte sie und errötete leicht. »Eigentlich heiße ich Guinevere. Ein sehr alberner Name, ich weiß, und äußerst unpassend. Meine Mutter hat ihn für mich ausgesucht, nachdem sie die Geschichte von Sir Lancelot und Guinevere gelesen hatte. Alice wäre sehr viel passender. Ich sehe sehr viel mehr nach Alice aus.«
Miss LaFosse drehte sich zu ihr um.
»Unfug«, sagte sie überschwänglich. »Das ist ein hübscher Name, ein ausnehmend prächtiger Name. Und er gehört Ihnen. Er verleiht Ihnen von vorneherein Bedeutung. Damit … stellen Sie etwas dar. Ich selbst«, gestand sie mit gedämpfter Stimme, »heiße in Wirklichkeit Sarah Grubb. So! Jetzt wissen Sie es. Ich würde es keiner Menschenseele sonst sagen, aber ich halte große Stücke auf Sie. Sie haben mir heute meinen Ruf gerettet. Als ich zur Bühne ging, habe ich einen anderen Namen angenommen: Delysia LaFosse. LaFosse habe ich selbst erfunden. Ich fand, das klang sehr gut.«
»Sie sehen sehr viel mehr nach Delysia aus«, sagte Miss Pettigrew.
»Danke«, sagte Miss LaFosse. »Das fand ich auch.«
»›Was ist ein Name?‹«, zitierte Miss Pettigrew verträumt aus Romeo und Julia.
»Verdammt viel«, sagte Miss LaFosse. »Einmal hat so ein verfluchter kleiner Zeitungsschnüffler, der mich nicht leiden konnte, doch tatsächlich meinen richtigen Namen ausfindig gemacht, und ich will Ihnen nicht sagen, was ich tun musste, damit er ihn nicht in seiner elenden kleinen Klatschkolumne erwähnte.«
Miss Pettigrew wollte es sich nicht einmal vorstellen.
»Ich wäre ruiniert gewesen«, fuhr Miss LaFosse fort. »Verstehen Sie? Sarah Grubb. Das wäre für jeden der Untergang. Wer könnte sich schon für eine Sarah Grubb begeistern! Aber das Schicksal hat es gut mit mir gemeint. Eines Abends hat sich der Kerl wie üblich betrunken und
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