Miss Pettigrews grosser Tag
Miss Pettigrew, ob es am Ende tatsächlich Schlangengift gewesen war. Sie saß stocksteif da. Wagte sich nicht zu bewegen. Ihre Kehle brannte wie Feuer. Der Raum hob und senkte sich. Ihr Barhocker schwankte. Ihre Augen spielten verrückt. Dann beruhigte sich alles. Der Raum bewegte sich um keinen Millimeter. Ihr Hocker stand unerschütterlich fest. Sie saß noch immer wohlverwahrt darauf. Sie regte sich zaghaft. Und behielt das Gleichgewicht. Miss Pettigrew strahlte.
Sie fühlte sich großartig. Sie strotzte nur so vor Autorität und Selbstsicherheit. Ein fantastisches Gefühl. Verächtlich dachte sie an ihr jämmerliches früheres Selbst. Was für ein nutzloses Geschöpf! Furcht! Hatte sie einst Furcht gekannt? Unmöglich. Sie spürte, wie ihre Kampflust erwachte. Sie wollte sich mit jemandem messen, nur um ihn mit Glanz und Gloria in den Staub zu schicken und ihre Macht unter Beweis zu stellen. Sie sandte blutrünstige Blicke durch den Raum. Wer stellte sich ihr zum Gefecht?
Tony stand treu und unterwürfig weiter neben ihr und schien sich nicht wieder unter die Menge mischen zu wollen. Er erinnerte Miss Pettigrew an irgendetwas. Sie sah, wie seine Augen Miss Dubarry folgten, wenn diese nicht zu ihm hinsah. Da fiel es ihr wieder ein. Sehr langsam, sehr behutsam erhob sich Miss Pettigrew von ihrem Barhocker.
»Ha!«, schnauzte sie. »Sie sind also Tony?«
Er fuhr zusammen.
»Ja, sicher. Ich bin Tony.«
»Sie wollte ich kennenlernen.«
»Das ist doch aber sehr nett von Ihnen, will ich meinen.«
»Keineswegs. Dumme junge Männer interessieren mich nun mal.«
»Was?« Tony schnappte überrascht nach Luft.
»Dumm«, sagte Miss Pettigrew.
»Ich?«
»Sie.«
»Oh!«, sagte Tony gewinnend. »Ich wusste nicht, dass Sie mich so gut kennen.«
»Nur zu gut.«
Sein Interesse war geweckt.
»Aber wieso dumm?«
»Ach, das wird Sie nicht weiter kümmern«, sagte Miss Pettigrew abfällig. »Ich hege lediglich ein abstraktes Interesse an Geschichten über die Torheiten, die junge Leute so gern begehen. Ich bin über das Alter hinaus, wissen Sie, in dem ich mich wie noch als junges Ding zum Narren machen könnte, insofern bleibt das Interesse ohne Folgen.«
»Was hat das mit mir zu tun?« Tony funkelte sie an. Miss Pettigrew funkelte zurück. »Rein zufällig wurden Sie mir als ein solcher geschildert.«
»Wer hat mich einen Narren genannt?«, verlangte Tony hitzig zu wissen. Sein Gesicht verfinsterte sich, sein Blick wurde stechend.
»Niemand … ausdrücklich«, sagte Miss Pettigrew nadelspitz. »Ich habe lediglich meine Schlüsse aus dem gezogen, was mir zu Ohren gekommen ist.«
»Und das wäre?«
»Ich bin mitnichten gesinnt, Ihnen Einzelheiten mitzuteilen«, sagte Miss Pettigrew hochmütig. »Ich dachte mir lediglich, was für ein Narr dieser junge Mann doch ist und dass ich ihn gerne kennenlernen würde. Da dies nun geschehen ist, bin ich zufrieden.«
»Zufrieden womit?«
»Mit meinen Schlüssen.«
»Herrgott noch mal!«, rief Tony und bedachte sie mit
einem weiteren finsteren Blick. »Mit wem haben Sie gesprochen? Ich lasse mich nicht so mir nichts, dir nichts einen Narren schimpfen.«
»Dann sollten Sie sich nicht wie einer benehmen.«
»Ich?«
»Natürlich ist es nicht allein Ihre Schuld«, sagte Miss Pettigrew, die plötzlich Mitleid überkam. »Jungen Menschen fehlt einfach jegliche Menschenkenntnis. Wenn Sie erst einmal so alt sind wie ich, dann wissen Sie, wann man Ihnen die Wahrheit erzählt und wann nicht.«
»Ich brauche nicht erst so alt zu werden wie Sie, um zu wissen, ob man mir die Wahrheit erzählt.«
Miss Pettigrew lächelte herablassend. Tony wurde puterrot.
»Was grinsen Sie denn so?«
»Ich lächle«, sagte Miss Pettigrew würdevoll, »und zwar recht freundlich. Aber beachten Sie mich nicht weiter. Ich höre jungen Leuten gern beim Reden zu. Es amüsiert mich. Für wie schlau sie sich doch halten! Gottlob bin ich mittlerweile in dem Alter, in dem man sich nicht mehr so leicht an der Nase herumführen lässt.«
»Mich führt niemand an der Nase herum.«
»Nur Sie selbst.«
»Was …«
»Ach, ich bitte Sie!«, sagte Miss Pettigrew, nun mit einem geradezu zynischen Unterton. »Sie haben völlig recht. Man macht viel zu viel Aufheben von all diesen Liebeshändeln. In meinem Alter werden Sie das durchschauen und dankbar dafür sein, dass Sie aus dummen Gründen das Richtige getan haben.«
»Sie!«, brüllte Tony erzürnt. »Wenn Sie noch einmal ›in meinem Alter‹ und ›in
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