Miss Pettigrews grosser Tag
Ihrem Alter‹ sagen, vergesse ich mich.«
»Andererseits«, fuhr Miss Pettigrew fort, »kann die Frau sich durchaus glücklich schätzen. Wie ich schon zu Miss LaFosse sagte, es ist gut, dass sie ihn los ist. Ich kenne Ihre Freundin zwar nicht sehr gut, aber ich weiß, wann eine Frau die Wahrheit sagt. Das muss man in meinem Beruf können. Kinder sind ja solch durchtriebene kleine Lügenbolde. Da entwickelt man einen sechsten Sinn dafür, ob sie die Wahrheit sagen oder nicht.«
»Himmelherrgott!«, brüllte Tony. »Wovon zum Teufel reden Sie denn nun?«
»Von meinem Beruf«, sagte Miss Pettigrew würdevoll.
»Und der wäre?«
»Ich unterrichte.«
»Unterrichten was?«
»Kinder.«
»Lieber Gott!«, sagte Tony schwach. »Ruhig bleiben«, befahl er sich selbst. »Ganz ruhig bleiben. Nicht die Beherrschung verlieren. Also … einmal kurz nachdenken. Wovon sprechen wir?«
Miss Pettigrew dachte nach. Verlor sich in tiefen Betrachtungen. Gar nicht so einfach, sich zu konzentrieren, stellte sie fest. Frage und Antwort. Ihr kam ein Einfall.
»Von Ihrer vormaligen Verlobten natürlich.«
»Edythe«, schnaubte Tony.
»Nun ja«, entgegnete Miss Pettigrew indigniert und verwechselte im Folgenden das, was sie in Miss LaFosses Wohnzimmer gedacht und was sie tatsächlich gesagt hatte. »Ich meinte zu ihr, warum sich noch weiter mit einem jungen Mann herumschlagen, der einem ständig bloß zu seinem eigenen Vergnügen Szenen macht. Das wird auf die Dauer doch öde.«
»Ich mache keine Szenen bloß zu meinem eigenen Vergnügen«, sagte Tony aufgebracht.
»Tja«, sagte Miss Pettigrew. »Sie scheinen jedenfalls von sich selbst keine allzu hohe Meinung zu haben.«
»Kreuzdonnerwetter! Was soll das nun wieder heißen?«, rief Tony in heller Verzweiflung. »Was hat das eine mit dem anderen zu tun?«
»Aber, aber!«, sagte Miss Pettigrew energisch. »Nehmen Sie sich zusammen. Vergessen die Frauen Sie für gewöhnlich, sobald Sie außer Sichtweite sind?«
»Nein, das tun sie nicht.«
»Unfug.«
»Unfug. Unfug was? Was wissen Sie schon davon?«
Miss Pettigrew sah verstörend ruhig aus. Im Kopf war sie wundervoll leicht und klar. Nichts machte ihr zu schaffen. Eine schlagfertige Replik nach der anderen ging ihr flüssig über die Lippen. Der junge Mann da konnte ihr nicht das Wasser reichen.
»Nun, wenn Sie so überzeugt von sich selbst sind, wie Sie es hinstellen, würde Ihnen doch nie der Gedanke kommen, dass eine Frau in Ihrer Abwesenheit einem anderen den Vorzug geben könnte.«
»So ist es.«
»Und warum tun Sie dann so?«, fragte Miss Pettigrew, wiederum ungehalten. »Nur um sich auf feige Art und Weise aus einer Verstrickung zu lösen. Auf höchst feige Art und Weise, möchte ich sagen. Sich zur Hintertür hinaus zu verdrücken. Ausgesprochen schäbig«, schloss sie triumphierend.
»Was für eine Verstrickung? Wessen Hintertür?« Tony war kurz davor, sich die Haare auszureißen.
»Ein armseliges Ammenmärchen. Warum haben Sie nicht gleich gesagt, dass Sie es satthaben, und sich wie ein Mann benommen.«
»Dass ich was satthabe?«
»Miss Dubarry.«
»Ich habe Miss Dubarry nicht satt.«
»Ja, du liebe Güte!«, sagte Miss Pettigrew herzlich. »Das kommt mir doch aber sehr seltsam vor. Sie sagen, Sie haben Miss Dubarry nicht satt, und sie sagt, sie hat Sie nicht satt … was soll man sich als Außenstehender dabei denken?«
»Wer hat Außenstehende gebeten, sich etwas zu denken?«
»Die Sonne bringt es an den Tag«, sagte Miss Pettigrew düster. »Ich habe es mir sofort gedacht. Und denke es immer noch.«
»Was?«
»Dass Sie ein sehr dummer junger Mann sind.«
»Ach ja, tatsächlich?«
»Ja. Tatsächlich.«
Sie maßen einander mit finsteren Blicken. Nie zuvor in ihrem Leben war Miss Pettigrew jemals so grob mit jemandem umgesprungen. Das wurde ihr nun plötzlich klar. Was hatte sie da gesagt? Ihre Nerven begannen zu flattern. Ihr Blick fiel auf ihr Glas, das noch zur Hälfte voll war. Sie nahm einen weiteren kräftigen Schluck. Er rann ihr brennend durch die Kehle. Sogleich fühlte sie sich besser. Der junge Mann hatte es nicht anders verdient. Er hatte ihre liebe Freundin Miss Dubarry zutiefst verletzt. Sie bedachte ihn erneut mit einem indignierten Blick.
»Wo ihr doch so viel an Ihnen gelegen ist.«
»Ach ja! Ihr ist an mir gelegen, so?«, fragte Tony sarkastisch.
»Hat sie Ihnen das nicht gesagt?«
»Oh. Gesagt hat sie es schon.«
»Wissen Sie es denn nicht?«
»Nun, sie …«
»Ah!«,
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