Miss Pettigrews grosser Tag
Göttergatte in der Künstlerwelt das Nonplusultra. Sie machen sich ja keine Vorstellung. Er war ein Lord. Oder jedenfalls so gut wie einer, sobald sein alter Herr das Zeitliche segnen würde. Mit Titeln habe ich mich nie so besonders ausgekannt. Also habe ich mich ganz kultiviert aufgeführt. Es hieß, er hätte was gegen Lippenstift – weil er so gern küsse. Der Zusammenhang ist klar, oder? Er hat sich nie groß darum gekümmert, Spuren zu verwischen, und sein Väterchen hatte sowohl scharfe Augen wie moralische Grundsätze.«
Miss Pettigrew gab in Sachen Lebenserfahrung ein weiteres Mal tollkühn Gas und meinte, den Zusammenhang klar und deutlich zu erkennen.
»Okay, ich habe also die feine Dame gegeben«, sagte Miss LaFosse. »Kein Lippenstift, Beine züchtig verhüllt. Sie wissen schon. Kühl und distanziert. Nichts von wegen Wiewär’s-denn-mit-uns-zwei-beiden. Eine Woche später habe ich ihn mit einer miesen Schnepfe gesehen: nichts als Lippenstift, lange Beine und Lust.«
»Meine Liebe«, wandte Miss Pettigrew ein. »Es … es gibt doch wohl noch andere Wörter dafür.«
»Für Lust? Bringen Sie mir ein schlimmeres bei. Ich werde es gern gebrauchen.«
»Nein, nein«, sagte Miss Pettigrew errötend. »Das – äh, das Wort, das einen weiblichen Vogel bezeichnet.«
»Aber sie war kein weiblicher Vogel. Sie war eine miese, hergelaufene Schnepfe.«
Miss Pettigrew befand es für das Beste, Vorsicht walten zu lassen. Sie war verwirrt. Miss LaFosses Erklärung erschien ihr äußerst erklärungsbedürftig, ein wenig verworren und insgesamt völlig unzureichend, aber ihr Hauptinteresse galt dem Lord, der keinen Lippenstift mochte.
»Was ist aus dem Lord geworden?«
»Er hat den Lippenstift und die langen Beine geheiratet«, sagte Miss LaFosse, »als sein alter Herr starb. Das war mir eine Lehre.«
Sorgfältig trug sie Lippenstift auf. Miss Pettigrew nickte nachdrücklich.
»Wie ich sehe«, sagte sie, »gibt es unendlich viel zu lernen, wenn man sich einen Mann zulegen will. Mein Unwissen ist abgrundtief.«
»Sie werden es schon lernen«, sagte Miss LaFosse. »Ich will mich gern unterweisen lassen«, sagte Miss Pettigrew selbstvergessen, »aber die Zeiten der Eroberungszüge sind für mich vorbei.«
»Nur nicht aufgeben«, sagte Miss LaFosse.
Sie tupfte sich einen letzten Hauch Puder auf die Wange.
»So. Das war’s. Kommen Sie, Guinevere. Jetzt sind Sie dran. Entfernen Sie die alten Spuren.«
Miss Pettigrew eilte ins Bad und kam, im Gesicht speckig glänzend wie ein Schulmädchen, wieder heraus. Miss LaFosse suchte das Nötige zusammen, um dem Glanz zu Leibe zu rücken. Miss Pettigrew nahm vor dem Spiegel Platz.
Ihre Aufmachung hatte bereits ein wenig gelitten. Die von Miss Dubarry so sorgsam ondulierten Wellen hatten sich selbständig gemacht. Ihr Kleid war leicht zerknittert. Miss Pettigrew hatte ihr Gesicht geschrubbt wie ein Bergarbeiter nach der Schicht. Der Anflug von Schick war dahin.
Das schwarze Samtkleid wirkte nicht mehr raffiniert, sondern drohte sich unwiderruflich in Falten zu legen.
»Ts, ts, Guinevere«, sagte Miss LaFosse vorwurfsvoll. »Sie sehen etwas derangiert aus.«
Eilig ging sie daran, Miss Pettigrew Nr. 1 wieder in Miss Pettigrew Nr. 2 zurückzuverwandeln.
»Es hat keinen Zweck«, sagte Miss Pettigrew resigniert. »Bei mir führt das Ganze sowieso zu nichts. Ich war immer hausbacken und werde es immer sein.«
»Unsinn«, widersprach Miss LaFosse streng. »Das ist bloß ein Minderwertigkeitskomplex. Wenn man einmal gut aussehen kann, kann man es immer. Braucht nur ein bisschen Übung.«
»Davon werde ich nie genug bekommen.«
»Sehen Sie nicht so schwarz.«
»Man kann aus einem Schweineohr kein seidenes Portemonnaie machen.«
»Man kann aus Lumpen Papier machen.«
»Das eine Mädchen ist schick, das andere nicht«, sagte Miss Pettigrew, die allmählich Gefallen an dem Wortwechsel fand. »Beide haben die gleiche Figur. Man weiß nicht, woran es liegt. Ich bin eben die, die es nicht ist.«
»Blühender Unsinn«, sagte Miss LaFosse. »Bauch rein, Schultern zurück. Das ist das Geheimnis. Wer sich hängen lässt, an dem hängen auch die Kleider nur herunter.«
Sie beendete die Arbeiten an Miss Pettigrews Gesicht, brachte energisch und mit sicherer Hand Miss Dubarrys Wellen wieder an ihren Platz und befestigte die rote Rose an Miss Pettigrews Schulter. Miss Pettigrew strahlte ihr Spiegelbild an.
»Zum ersten Mal in meinem Leben fühle ich mich wohl in meiner
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