Miss Pettigrews grosser Tag
ernst. »Und wird es auch nie werden. Eine Frau muss Erfahrungen sammeln, aber wenn es ans Heiraten geht! Dann hört der Spaß auf. Da muss sie sich vorsehen. Man … man muss doch an die nachfolgende Generation denken.«
»Oh!« Miss Pettigrew blieb die Spucke weg; ihr war der Wind aus den Segeln genommen.
»Da haben Sie’s«, sagte Miss LaFosse.
Miss Pettigrew ließ sich nicht unterkriegen. Sie erhob sich. Sie rang die Hände. Sie blickte ernst und flehentlich.
»Ich bin unverschämt«, sagte Miss Pettigrew. »Ich bin vorlaut. Ich bin unhöflich. Sie werden mich an die Luft setzen. Aber ich muss es sagen. Ich habe Sie zu gern. Ich will Sie nicht unglücklich sehen. Das Leben, das Sie da führen. Wo soll das enden? Bitte, bitte heiraten Sie Michael.«
»Ei, ei«, sagte Miss LaFosse lächelnd. »Sie wollen mich auf den Pfad der Tugend führen.«
»Wenn ich es nur könnte.«
»Ist das denn wirklich das Beste?«
»Ja natürlich, allerdings ist es das -« Miss Pettigrew verstummte. Sie war noch keine fünfzig, aber eines Tages würde sie es sein – ohne ein Heim, ohne Freunde, ohne Ehemann, ohne Kinder. Sie hatte ein spartanisch keusches, ehrenhaftes Leben geführt. Dennoch würde sie nie ein Heim oder Erinnerungen an eine eigene Familie haben. Angenommen, Miss LaFosse stünde mit fünfzig ebenfalls ohne Heim und Freunde da. Wie reich würden ihre Erinnerungen sein?
»Nein«, sagte Miss Pettigrew. »Ich weiß nicht, ob es das Beste ist.«
»Ach, meine Liebe«, sagte Miss LaFosse sanft.
Miss Pettigrew hob den Kopf. Sie sprach gehetzt, ohne Atem zu holen.
»Ich bin nie in meinem Leben geliebt worden. Ich will es wissen. Ich wollte es immer wissen. Es gibt Hunderte wie mich, die es wissen wollen. Ist es die Sache wert?«
»Ja«, sagte Miss LaFosse. »Für mich schon.«
Miss Pettigrew setzte sich wieder hin.
»Ich bin älter als Sie«, sagte sie. »Ich bin ein dummes Weib. Ich habe weder Ihren Verstand noch Ihre Schönheit noch Ihre Schlauheit. Zur Ehe rate ich nicht aus Gründen der Tugend oder Konvention, sondern aus Erfahrung. Ich habe keine Freunde, kein Geld, keine Familie. Ich möchte nur, dass Ihnen das erspart bleibt.«
»Ach, meine Liebe«, sagte Miss LaFosse noch einmal.
»Solange er nur freundlich ist, das ist alles, was zählt«, sagte Miss Pettigrew. »Ich habe in meinem Leben eine ganze Reihe rechtschaffener Menschen kennengelernt, aber nur wenige von ihnen waren jemals freundlich.«
»Oh, Guinevere«, sagte Miss LaFosse.
»Also der Erste, der war schon auch freundlich«, merkte Miss Pettigrew ernst an, »aber nun ja, meine Liebe, ich würde Ihnen nicht zuraten, ihn zu heiraten. Ich möchte keine vorschnellen Schlüsse ziehen, allerdings meine ich fast, er war nicht durch und durch Engländer. Und wenn es ums Heiraten geht, hält man sich doch besser an die eigenen Landsmänner.«
»Ja gewiss«, sagte Miss LaFosse sittsam.
»Und Nick – also der wird Sie auf die Dauer garantiert nicht glücklich machen. Ich glaube, das wissen Sie selbst. Michael hingegen, ach, Michael!« Miss Pettigrews Gesicht glühte. »Ich will nicht viel mehr dazu sagen, weil ich mich ohnehin schon recht weit vorgewagt habe, aber dieser junge Mann gefällt mir über die Maßen. Und er ist durch und durch Engländer.«
»Ich sehe schon«, sagte Miss LaFosse, »Michael hat eine Eroberung zu verzeichnen.«
»Ja«, sagte Miss Pettigrew.
»Was sind Sie doch für ein Schätzchen!« Miss LaFosse konnte sich nicht länger zurückhalten. Sie beugte sich vor, umarmte Miss Pettigrew und gab ihr einen Kuss.
»Ich denke darüber nach, versprochen.«
Nach dieser kräftezehrenden Übung war es Miss Pettigrew reichlich flau zumute.
»Ach herrje! Ich hoffe bloß, Sie nehmen es mir nicht übel, dass ich so frei heraus war. Ich musste es einfach loswerden.«
»Übelnehmen!«, sagte Miss LaFosse. »Ich? Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich keine Mutter hatte. Bisher ist noch nie jemand auf die Idee verfallen, mir eine Standpauke zu halten. Es war ein echtes Erlebnis. Das hätte ich mir um nichts in der Welt entgehen lassen wollen.«
Sie wandte sich wieder dem Schminktisch zu. Miss Pettigrew begutachtete das, was dort vor sich ging, mit intensiver Anteilnahme.
»Meine Liebe«, sagte sie schließlich kopfschüttelnd, »meinen Sie denn, dass so viel Make-up – nun ja – einer Dame gut zu Gesicht steht?«
»Ich habe einmal die feine Dame gegeben«, sagte Miss LaFosse. »Wenn es ums Heiraten geht, ist nämlich ein adliger
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