brabbelte ich eine Entschuldigung. Jürgen sagte zwar nichts, doch ich spürte seinen prüfenden Blick in meinem Rücken, als ich zum wiederholten Mal mit beamtischem Eifer um Punkt sechs Uhr den Computer ausschaltete und den Heimweg antrat. Ich hatte ihm nicht erzählt, dass der Abend mit Kate in die Verlängerung gegangen war, aber wahrscheinlich hatte er mich längst durchschaut.
Den Countdown vor Augen, bekam die Gegenwart eine
unerwartete Wertigkeit. Das absehbare Ende befeuerte meinen egoistischen Wunsch nach intensiver, temporärer Zweisamkeit.
Dagegen verblassten Freund und Feind. Die Einzigen, die uns regelmäßig zu Gesicht bekamen, waren unsere beiden Kameraden von der Polizeistation - denen wir übertrieben freundlich zuwinkten, sobald wir sie auf der Wache erspähten. Ihre Fähigkeit zum Gegengruß erwies sich jedoch als ausgesprochen begrenzt.
Je näher der Zeitpunkt rückte, den Jürgen mir als »besten von allen« angekündigt hatte, desto stärker entwickelte sich in mir ein Mix aus gegensätzlichen Gefühlen.
1. Erleichterung - Die Dame packte von sich aus ihre Koffer (respektive: den Rucksack). Höheren Gewalten konnte man die Rolle des Spielverderbers zuschustern. Eine bequemere Art, den Exitus einer Affäre zu erleben, gibt es nicht.
2. Bedauern - Unter normalen Umständen hätte diese Liaison gerne noch Wochen oder gar Monate andauern können.
3. Zweifel - Jürgens Aufreißstrategie funktionierte. Aber wann würde mir je wieder ein so bezauberndes Wesen wie Kate begegnen?
4. Als wir uns schließlich in der Wartehalle des »Tan Son Nhat«-Flughafens zum Abschied gegenüberstanden, gesellte sich noch eine weitere Empfindung hinzu: Trübsal. Kate war eigentlich perfekt. Was erwartete ich mir eigentlich noch? Wieso sollte das jetzt schon zu Ende gehen? Wieso überhaupt zu Ende gehen?
Mit belegter Stimme murmelte ich etwas über die zu vernachlässigende Entfernung zwischen Saigon und Sydney. Daraufhin verstieg ich mich in einen Monolog, der im Kurzen die Vorteile des globalisierten Arbeitsmarktes umriss, anschließend das Geschäftsmodell asiatischer Billigflieger erläuterte und in dem Hinweis gipfelte, dass es auch in Vietnam Meere gäbe, welche es zu erforschen gelte. Dann faserte meine Rede langsam aus. Ein Hauch peinlicher Berührtheit waberte just an dem Ort, an dem wir standen.
Bis ich endlich schwieg, sah Kate mich nur unbewegt an. Ihr Kommentar zu meiner Rede fiel schließlich knapp aus: »Ich muss jetzt los. Sie haben schon zum Boarding aufgerufen.«
»Äh … Telefon? E-Mail-Adresse?«, stieß ich mit letzter Mühe hervor. Sie konnte sich doch nicht einfach so aus meinem Leben verpissen! Glücklicherweise zückte sie - wenn auch mit unentschlossener Geste - einen Stift und notierte
[email protected] auf einen Zettel. Dann drückte sie mir einen flüchtigen Kuss auf die Wange und verschwand unerreichbar hinter der Sicherheitsschleuse.
Man kann sicher geteilter Meinung darüber sein, was gut und schlecht ist. Es steht zudem außer Frage, dass manche Theorie mehr verspricht, als sie in der Praxis hält. Doch dass jemand diese Minuten für den »besten Augenblick einer Affäre« halten konnte, wollte nicht in meinen beschränkten Schädel - für mich war dieser Abschied der kalte Entzug nach einem 14-tägigen Rausch.
Ein dumpfer Nebel hatte sich über meine Stimmung gelegt, als ich nach Hause rollerte. Ohne die zweite Person auf dem hinteren Sitz beschleunigte die Vespa viel agiler, doch ich schlich nur in gemächlichem Tempo dahin. Umschlossen
vom dahinrauschenden Verkehr, machte ich mich an die Analyse der eigenen Gefühlslage. Zunächst das Wichtigste: War ich etwa verliebt? - Wer, ich? Guter Witz! War doch gar nicht dran zu denken. Warum nagte dieser Abschied dann so an mir? - Sicherlich kratzte er eher an meinem Ego als an meinem Herzen. Genau. Das musste es sein. Hätte mir Kate den Abschied mit ein paar Tränen versüßt, wäre auf meinem Gesicht jetzt kaum genug Platz, mein Grinsen zu beherbergen. Mit Schmackes warf ich mich wieder auf mein eigenes Klischee zurück. Hier bin ich zu Hause, hier fühl ich mich wohl. Keine Gefahr, unbekanntes emotionales Terrain zu betreten. Alles sicher, alles unter Kontrolle!
Jetzt konnte ich endlich Gas geben. Wie um mir selber zu beweisen, was für ein abgezockter Typ ich war, steuerte ich den direkten Weg vom Flughafen zum Nest an, fuhr ein paar Mal mit lautem Knattern demonstrativ langsam die Pham Ngu Lao hoch und runter, hielt