Klick auf den Check-Mail -Button hoffte ich, keine neue Nachricht vorzufinden - und konnte es dennoch kaum erwarten, die nächste Schmach hinter mich zu bringen.
Und schon kam sie reingerauscht.
Absender:
[email protected] Auch hier war die Betreffzeile leer. Im Gegensatz zu Charlottes Schreiben, war dieses jedoch eher übersichtlich gehalten.
Wieder keine Anrede.
Ich weiß nicht, wer Sie sind und was Sie von mir wollen. Aber ich bin nicht die, für die Sie mich halten. Verschonen Sie mich also in Zukunft gefälligst mit Ihren Perversitäten.
Keine Grüße, kein Absender. Aber man musste wohl nicht Meisterdetektiv Nick Knatterton sein, um zu kombinieren, dass Kate mir eine falsche Mail-Adresse gegeben hatte. Oder versteckte sie sich einfach hinter einer falschen Identität? Was sollte ich tun? Was konnte ich tun?
Nach einigen Minuten legte sich die Aufregung - und ich mich in meinen Sessel zurück. Kurze Überprüfung des Erreichten: Charlotte? Ein Kapitel, das schon lange abgeschlossen war und spätestens seit heute endgültig Eingang in den Orkus gefunden hatte. Kate? Unerreichbar. Und bei objektiver Betrachtungsweise hielt sich mein Schmerz darüber in Grenzen.
Es gab keine Antworten, keine Lösung. Ich beschloss, alle
Ambitionen auf traute Zweisamkeit zu begraben und mich nur noch auf das zu konzentrieren, was ich am besten konnte: Einfach so weitermachen wie bisher.
Was ich dann auch fleißig tat.
12.
Der Tag, an dem sich alles änderte, begann wie ein Tag, an dem alles beim Alten bleibt.
Wie so häufig erwachte ich, weil mein Nachbar ab sechs Uhr lautstark auf seinen Metallschrott eindrosch. Auch in meinem Schädel dröhnte es - wohl eine Folge der ausgedehnten Sause am Vorabend.
»Es ist Sonntaaaaaag!«, brüllte ich in den Raum. Aber natürlich war unten auf der Straße weder mein Geschrei zu hören, noch hätte irgendjemand die Bedeutung meiner Worte begriffen.
»Hmmm?! Was?«, drang überraschend eine Stimme an mein Ohr.
Ominös! Wo kam die her?
Ich drehte mich um und entdeckte eine Frau, die sich schlaftrunken die Augen rieb. Oh Gott! Gestern Abend! Der letzte Absacker in dieser Kaschemme. Dunkel stieg ein Bild in meinem Geist auf, das mich am Ende nicht mehr alleine am Tresen sitzend zeigte. Wie hieß sie noch gleich? Thanh? Tam? Thang?
Frauen,
a. die sich unvermutet in meinem Bett befinden,
b. von denen ich aber weder weiß, wie sie in mein Leben gekommen sind, noch
c. wie sie heißen, und
d. bei denen ich keinerlei Erinnerung mehr daran habe, ob und welche gemeinsamen Aktivitäten veranstaltet wurden,
machen mir
e. Angst
Also musste schleunigst eine Notlüge her:
»Tut mir leid, dass ich dich wecke. Aber ich habe es eilig. Heute kommt Besuch aus Europa, und ich muss gleich zum Flughafen.«
»Was sagen?«
Barmädchen sind eine unberechenbare Spezies. Darum hatte ich es mir angewöhnt, mit ihnen nur auf Englisch zu sprechen. So konnte ich die Gespräche - und damit die Situation - besser kontrollieren. Zur Not schwallte ich sie einfach zu und ließ sie ratlos zurück. An diesem Morgen wollte ich aber verstanden werden, und betonte deshalb jede Silbe einzeln:
»Ich keine Zeit. Du jetzt müssen gehen.«
Sie sagte kein Wort, hatte aber offensichtlich verstanden - denn in Zeitlupentempo erhob sie sich, suchte ihre Sachen zusammen und zog sich demonstrativ langsam an. Dann sah sie mich missmutig an und sagte: »Du geben Geld mich Taxi!«
Ich finde, der wahre Gentleman zeigt sich erst im Augenblick einer unverschämt vorgetragenen Forderung. Also fischte ich nach meinem Portemonnaie und zog mit generöser Geste 150.000 Dong, etwa zehn Dollar, heraus. Damit sollte sie locker zu jeder Adresse innerhalb der Stadt kommen. Sie nahm die Scheine, schielte kurz darauf und sagte kühl: »Das nicht genug.«
»Du wohnst aber zentral«, bemühte ich mich um Ironie
(eine in Asien leider unbekannte Form des Humors), während ich ihr widerwillig noch einen 50.000er zusteckte.
»Das nicht genug!«, maulte sie weiter.
Nebenan schlug mein Nachbar immer noch lautstark Metallteile gegeneinander.
»Das nicht genug!? Das nicht genug!? Willst du dir einen Rolls Royce mieten, oder was?«
»Was sagen?«
»Ich sagen: Das genug!«
»Das nicht genug! Du machen boum-boum mit mir, du zahlen Taxi!«
»Ich soll dich also für unser Stelldichein gestern Abend bezahlen? Ich kann mich ja nicht mal daran erinnern!«
»Was sagen?«
»Du wollen Geld für Sex!«
»Nein. Geld für Taxi!«
Da knickte ich