Miss Saigon der Hund der Japaner und ich Roman
die meist zu zweit, aber manchmal auch alleine reisen.«
Er wartete kurz meine Reaktion ab, doch ich ließ ihn einfach weiterreden:
»Es wird nicht mehr lange dauern, dann wird jeder Depp in Saigon landen. Aber im Moment sind es vor allem die, die sich für abenteuerlustig und individuell halten. Die auf der Suche nach persönlicher Freiheit sind - oder dem, was sie dafür halten. Manche sind Monate in Asien unterwegs und kommen sich deswegen ganz cool und einzigartig vor. Doch am Ende«, Kunstpause, »am Ende wartet auf sie alle das Gleiche: Ein Flugticket zurück ins graue Deutschland und ein öder Job als Sekretärin bei der Kreissparkasse Recklinghausen.«
Jürgen hatte die Sache scheinbar eingehend analysiert, und langsam wurde deutlich, worauf er hinaus wollte:
»Also, Gaby aus Recklinghausen träumt von der großen, weiten Welt. Am Horizont zieht schon bleischwer die dunkle Wolke ihres Spießerlebens auf. Und dann kommst du auf einmal auf deiner kultigen 50er-Jahre-Vespa um die Ecke gerollert. Du bist die große, weite Welt. Du lebst in Saigon. Wie abgefahren ist das denn? Ich sage dir: Es gibt nichts, womit du sie besser beeindrucken könntest. Es ist das, was sie in ihrem tristen Leben immer machen wollte. Du lebst ihren Traum. Und das macht dich verdammt sexy.«
Vor lauter Begeisterung bekam sich Jürgen selber kaum mehr ein:
»Es ist so einfach. Du marschierst da rein, quatschst Gaby aus Recklinghausen an - woher, wohin, das sind doch immer die gleichen Fragen -, und irgendwann lässt du in einem Nebensatz anklingen, dass du ja hier lebst . Glaub mir: Sie wird tief beeindruckt sein und dir tausend Fragen stellen. Du bietest natürlich selbstlos an, ihr das ›wahre‹ Saigon zu zeigen, das ›in keinem Reiseführer steht‹. Nach der Stadtrundfahrt lädst du Gaby zum essen ein und hinterher geht’s zum Absacker auf die Dachterrasse deiner Villa. Und wenn du sie danach nicht in dein Bett bekommst« - Jürgen sog mit seinen wulstigen Lippen betont lasziv an dem Strohhalm, der in seinem Melonenshake steckte -, »dann ist bei dir alles verloren, und ich werde dich beim nächstbesten Tempel in den ewigen Zölibat schicken.«
»Keine Bange. Der Plan ist zu gut.«
»Nur gut?«, lachte Jürgen. »Es kommt noch besser: Man wird nie mit blöden Gefühlsduseleien belästigt. Denn Gaby muss ja bald schon wieder weiter. Irgendwann fährt immer der Bus nach Hue oder der Zug nach Hanoi. Und selbst wenn sie bereit ist, für dich ihre ganze Reiseplanung über den Haufen zu werfen: Spätestens nach sechs Wochen läuft ihr Visum aus.«
Ich schüttelte belustigt den Kopf.
»Du scheinst ja ein echter Experte zu sein.«
»Ja. Und als solcher empfehle ich dir auch noch, dir das hier anzuschaffen.«
Er wedelte mit seinem rechten Arm vor meinem Gesicht herum und deutete auf den Ehering.
»Eine Abwehrmaßnahme gegen zu ambitionierte einheimische Ladys. Die kommen ja schnell auf komische Ideen und wollen dich gleich vor den Altar zerren. Also steckst du
dir einfach so ein Ding an und erzählst, dass du eine Frau in Deutschland hast. Damit ist dein Status klar - Sugardaddy: Ja. Potentieller Ehemann: Nein. Das klappt wunderbar.«
Meine erste Gaby aus Recklinghausen hieß Kate und kam aus Marsfield, einem Vorort von Sydney.
Außer den unterschiedlichen Namen und Herkunftsorten verlief der Tag geradezu beängstigend genau nach dem Szenario, das mir Jürgen so wortreich beschrieben hatte. Und ich kann es nicht verheimlichen: Der Plot und die Inszenierung gefielen mir. Wäre da nicht ein Epilog gewesen, dessen Existenz Jürgen mir vorenthalten hatte.
Kate. Hübsch, intelligent, sportlich. Mit süßen Sommersprossen, blonden Haaren und einem hemdsärmeligen Humor gesegnet. In etwa so, wie man sich eine australische Meeresbiologie-Studentin im dritten Semester vorstellt. Kurz: Sie übertraf meine Erwartungen - und ich übertraf mich selbst. Lange hatte ich nicht mehr so charmant parliert, so faszinierend erzählt, so intelligent gescherzt, beim Flirt so punktgenau den schmalen Grat zwischen Beiläufigkeit und Eindeutigkeit getroffen.
Nach Jürgens Beschreibung war das Tagesprogramm nur notwendiges Übel, um auch die Nacht mit der Frau verbringen zu können. Doch ich genoss bereits die Stunden, als wir noch kokosnussschlürfend in der Travellerklause saßen. Als Kate sich für die Stadttour hinter mich auf die Vespa schwang und wie selbstverständlich ihre Hände um meine Hüften legte. Als wir ohne Eile ein
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