Miss Saigon der Hund der Japaner und ich Roman
rausschmeiße? Das ist immer noch meine Firma, und am Ende entscheide ich , was damit passiert.«
»Du kannst mich doch nicht erst ans andere Ende der Welt lotsen und mich dann einfach vor die Türe setzen.«
»Oh doch, das kann ich! Denn auch das ist Vietnam: Es ist der Wilde Osten. Hier ist alles möglich, aber nur der Stärkere gewinnt.«
In meinem Kopf rauschte es, meine Stimme überschlug sich:
»Scheiße, Jürgen! Das ist einfach Scheiße von dir!«
»Ich muss auch an meinen eigenen Vorteil denken. So eine Chance hätte ich nie wieder bekommen. Und außerdem war ich in letzter Zeit sowieso nicht so zufrieden mit dir. Du warst geistig gar nicht mehr richtig bei der Arbeit. Und körperlich manchmal auch nicht - gerade als es draufankam.«
»Ich lag bewegungsunfähig zu Hause, weil die Schergen von deinem tollen Investor mich beinahe totgeschlagen hätten!«
»Schrei mich nicht an! Ich habe keine Ahnung, was dieser Ebi-san gegen dich hat. Es interessiert mich auch nicht! Das musst du mit ihm ausmachen, nicht mit mir!«
Eine Stille gefror zwischen uns. Mir war, als würde ich das erste Mal nach Minuten wieder atmen. Auch mein Puls trat langsam auf die Bremse. Durch die Glastür des Büros sah ich, wie Mitarbeiter draußen neugierig den Kopf reckten, um zu sehen, wo das Geschrei herkam.
Als ich fortfuhr zu sprechen, war meine Stimme wieder ruhig.
»Weißt du was, Jürgen: Du solltest mir dankbar sein. Ist
dir klar, dass du dich nur finanziell sanieren konntest, weil dieser Ebi auf meine Freundin scharf ist?«
»Was redest du für einen Unfug?«
»Kein Scheiß. Aber das ist dir wahrscheinlich ziemlich egal.«
Wieder schwiegen wir uns an. Dann bemühte sich Jürgen, einen freundschaftlichen Ton anzuschlagen:
»Junge, nimm’s nicht so schwer. Wenn du in Vietnam bleiben möchtest, kannst du dir doch einen neuen Job suchen.«
Ein verächtliches Schnauben ertönte aus meiner immer noch leicht lädierten Nase.
»Du weißt, dass das fast unmöglich ist. Die vietnamesischen Firmen stellen doch keinen Ausländer ein, dem sie das zehnfache Gehalt zahlen müssten. Denn von 250 Dollar im Monat kann ich ehrlich gesagt nicht leben. Und die internationalen Firmen besetzen ihre zwei, drei Expat-Positionen natürlich mit Leuten, die sie aus ihrer Zentrale in Europa schicken.«
»Du wirst schon was finden. Bist ja’n guter Kerl.«
Es war klar, dass Jürgen sich mittlerweile auf der Abkürzung in Richtung Gesprächsausgang befand. Ich hatte ihm auch nichts mehr zu sagen. Also stand ich mit einem verzagten »Na dann« auf und schlich aus seinem Büro.
»Ach ja«, ich drehte mich noch einmal um. »Ab wann bin ich denn gefeuert? Ab sofort?«
»Ab sofort!«
Wortlos stand ich da. Als ich die Tür hinter mir schloss, hatte sich Jürgen schon wieder dem Computer zugewandt und hackte mit seinen fleischigen Fingern auf der Tastatur herum.
Oft genug habe ich gute Ratschläge nicht angenommen. Aus Besserwisserei, Faulheit oder simpler Schlamperei. Doch nun, da es mich nach einem Geistesblitz dürstete wie selten zuvor, bekam ich keinen Tipp, der mir weiterhalf. Minh (»Bei einer vietnamesischen Firma hast du keine Chance«), Erik (»Ich kenne keinen Ausländer, der hier vor Ort einen Job gefunden hat«) und Öli (»Ich habe von einer Schule gehört, die Englischlehrer sucht. Die zahlen aber nur 400 Dollar«) konnten nichts Erhellendes zur Diskussion beitragen. Am klarsichtigsten war Alois’ Einschätzung, der mir in einer E-Mail schrieb:
Dann kommst Du halt wieder nach Deutschland zurück. Du kannst auch wieder auf meiner Couch Dein Lager aufschlagen. Und die Braut? Bring sie doch einfach mit, wenn Dir wirklich so viel an ihr liegt.
Sicher ein gut gemeinter Rat. Allerdings bezweifle ich, dass Alois mir den gleichen Tipp gegeben hätte, wenn ihm die Formel bekannt gewesen wäre, nach der sein Vorschlag hier berechnet werden würde:
(Lien + Nick) x Deutschland = Hochzeit
Dank des Nachhilfeunterrichts bei Lehrer Minh konnte ich diese Aufgabe im Kopf lösen. Das einzige Problem war ein reflexartiges Widerstreben, mich mit dem Ergebnis anzufreunden.
Es gibt Männer, die sich nicht trauen, ihrer Familie zu sagen, dass sie ihren Job verloren haben. Also stellen sie jeden Morgen weiter brav ihren Wecker, binden sich ihre Krawatte,
greifen nach der verschlissenen Aktentasche und verlassen das Haus. Abends, pünktlich nach Büroschluss, kommen sie wieder heim und antworten auf die übliche Frage ihrer Ehefrau mit einem
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