Miss Seeton riskiert alles
Wirtshaus und die Menschen, die aus der Festhalle kamen, genügend Platz hatten, um das, was vor sich ging, ungehindert zu beobachten. Sie schoben sich alle vor, scheinbar in eine Unterhaltung vertieft. In Wirklichkeit waren sie jedoch gespannt auf die nächste Episode von Miss Seetons Saga. Es lohnte sich sehr. Aus dem Wagen stieg eine alte Dame, aufgedonnert, mit Diamanten und Pelz behangen und mit Locken von einer unwahrscheinlich lilaweißen Farbe. Ein großer Mann mit ergrautem Haar folgte ihr. Das war der Kriminalpolizist aus London, der schon einmal mit seinem Sergeanten im St. Georg gewesen war. Das Interesse wurde wach. Diese Miss Seeton saß wieder in der Tinte. Hatte etwas verbrochen. Man hatte sie erwischt. Nun kamen sie und durchsuchten das Haus, er und der Sergeant. Aber warum brachten sie die mit Perlen behangene alte Schachtel mit? Bob Ranger half Delphick, Haley aus dem Wagen zu ziehen, während Miss Seeton dem einen oder anderen Bekannten lächelnd zunickte und den kurzen Weg zu ihrem Haus hinaufschritt. Ihr Lächeln und Nicken hatte gewirkt.
»Sie ist es!«
»Nein, sie ist es nicht.«
»Ich sage, sie ist es! Sie ist es selbst, und zwar verkleidet!«
Als Miss Seeton an ihrer Haustür nach dem Schlüssel suchte, flatterten aus ihrer Handtasche einige Geldscheine. Sie bückte sich schnell, um sie aufzuheben. Ein Murmeln ging durch die Menge.
»Haben Sie die Scheine gesehen?«
»Die Handtasche ist damit vollgepfropft.«
»Haben wahrscheinlich eine Bank ausgeraubt und wollen hier in aller Ruhe miteinander teilen.«
»Ich habe immer gesagt, die Polizei ist nicht besser als andere Menschen.«
Da die Zuschauer nicht aufgefordert wurden, den Gewinn zu teilen, regte sich moralische Entrüstung. Vor allem zwei Damen, die unter denen standen, die aus der Festhalle gekommen waren, entrüsteten sich. Die eine war klein und mollig, die andere groß und hager. Sie beobachteten neugierig, denn hier war wirklicher Stoff für ihren Klatsch, von dem sie lebten und gediehen.
»Das – das ist zuviel«, flötete die sehr rundliche Mrs. Blaine. »Zu schrecklich! Wie wagt sie es, in diesen Kleidern hierher zu kommen. Es ist zu – «
»Abscheulich«, ergänzte die eckige Miss Nuttel.
»Und sehen Sie nur«, Mrs. Blaine umklammerte den Arm ihrer Begleiterin, »sehen Sie sich das nur an! Es ist zu – es ist zu – «
Zum ersten Mal seit vielen Jahren fehlten beiden die Worte, als Delphick und Bob den unseligen Haley, der noch halb schlief und buchstäblich keine Beine hatte, in das Haus schleiften.
»Armer Junge, er ist krank«, rief eine mütterliche Seele.
»Stimmt nicht«, widersprach ein alter Landarbeiter, dessen Gesichtsröte seiner Feststellung Autorität verlieh. »Er ist besoffen.«
»Vielleicht verletzt.«
»Besoffen«, wiederholte die Autorität mit Erfahrung.
»Ich nehme an, er wurde niedergestochen.«
»Ich würde sagen, er hat Rauschgift genommen.«
»Nein«, sagte die Autorität. »Es ist so, wie ich sagte – besoffen.« Und während man noch mit Genuß debattierte und spekulierte, schloß sich die Haustür von Sweetbriars.
Am nächsten Tag zur Mittagszeit war die Bar in St. Georg und der Drache überfüllt. Das Gesprächsthema bildete Miss Seeton. Ihre Verleumder und ihre Verteidiger führten eine hitzige Debatte, obwohl sich letztere in der ärgerlichen Lage befanden, keine feste Grundlage für die Debatte zu haben. Ohne Zweifel war Miss Seeton unangemessen gekleidet gewesen. Einer ihrer Begleiter war betrunken oder möglicherweise verletzt gewesen. Sie war in Begleitung der Polizei gekommen, und sie hatte zuviel Geld gehabt. Das waren Tatsachen. Sogar ihre glühendsten Verehrer konnten keine überzeugende Erklärung dafür geben, während der Opposition keine Grenzen gesetzt waren und sie so interpretierte, wie es ihr in den Sinn kam.
Die Morgenzeitungen hatten einen kleinen Artikel mit einer kurzen Überschrift über die Störung vor dem Goldfisch gebracht. Es hatte jedoch wenig darin gestanden, außer daß Miss Seetons Name erwähnt wurde – der Polizei war nicht klar, wie er durchgesickert war – und daß man zwei Männer festgenommen hatte; einer von ihnen sei im Krankenhaus. Die Lokalpresse war in Aktion getreten, hatte überall herumgehorcht und Fragen gestellt, da ihre Versuche, die Hauptperson selbst zu interviewen, von Miss Seetons Haushaltshilfe vereitelt worden waren.
In der Menge im Wirtshaus standen zwei Menschen, die wenig sprachen, aber die allgemeine Stimmung und
Weitere Kostenlose Bücher