Miss Seeton riskiert alles
herumgefragt, aber unten im Dorf schien niemand etwas von Thatcher zu wissen. Daher legte ich mich am Nachmittag hin und wollte während der Nacht hier oben meine Augen offenhalten.«
Die Enttäuschung, daß ihre romantischen Vorstellungen falsch waren, machte sich in Deirdres Stimme bemerkbar. »Endlich kommen wir weiter. Was geschah, als Sie wie ein Wachhund umherstreiften?«
»Nun, Derrick – Ihr Bruder kam auf seinem Motorrad an. Ihm folgte Morden in einem Wagen. Sie ließen den Wagen unten am Tor stehen, schoben das Motorrad den Fahrweg hinauf und stellten es in einem Schuppen hinter dem Haus ab. Dann schlugen sie sich nach rechts und gingen an einer Menge Büsche vorbei, über viel Rasen und was weiß ich noch alles. Jedenfalls fiel ich der Länge nach in etwas, das wie Rosen kratzte. Schließlich landeten wir vor ein paar Ruinen, die aussahen wie eine Kirche, die niemals fertiggebaut wurde.«
»Die alte Kapelle«, ergänzte Deirdre. »Sie ist eingestürzt.«
»Ganz bestimmt ist sie das«, stimmte Haley ihr bei. »Ich stolperte noch einmal über irgendein Mauerwerk. Den anderen beiden machte es nichts aus. Sie benutzten eine Taschenlampe. Ich aber wagte es nicht. Jedenfalls – « Verflucht, diese Sache mit dem Bruder! Man konnte es nicht weglassen. Am besten ging man leicht darüber hinweg und hoffte das Beste. »Jedenfalls Ihr – eh – Bruder verschwand und ließ unseren Freund hier zurück. Es gelang mir, nahe heranzukriechen. Nach ungefähr fünf Minuten – äh – kam Nummer eins zurück und sagte zu unserem Kameraden, alles sei in Ordnung. >Sie< sei dort, schlafe fest, und er solle ihm folgen, ihm aber eine Minute geben, damit er verschwinden könne, und dann solle er weitermachen.«
Haley sah Miss Seeton vielsagend an. »Mir gefiel dieses >weitermachen< gar nicht. Daher dachte ich, es sei wohl besser, selbst auch weiterzumachen. Ich jagte hinter ihnen her, um einen Busch herum, von dem mir niemand verraten hatte, daß es ein Dornbusch war. Ich riskierte es, meine Taschenlampe kurz aufblitzen zu lassen, und entdeckte einen riesigen Steinsarg, auf dem ein Mann in voller Rüstung schlafend lag. Nach der Art und Weise zu schließen, wie er seine Hände gefaltet hatte, würde ich sagen, daß er für ein weicheres Bett betete.«
»Unser großer Vorfahre, der erste Graf«, bemerkte Deirdre.
»Nun, unter dem Kopf Ihres großen Urahnen wurde die Steinplatte des Sarges zurückgezogen – sie ist drehbar –, und darunter befanden sich Stufen. Ich zog meine Schuhe aus, tastete mich nach unten, und da waren wir nun. Derrick ging mit einer Taschenlampe voran, dann Morden, und ich schlich hinterher. Man kann da gerade noch stehen.«
Er holte tief Luft. Es war nicht so einfach, weiterzuerzählen. »Nun – also, der Gang endete an einer steilen, engen Steintreppe. Wir gingen hinauf.« Er grinste. »Zum Glück sind wir alle schlank. Oben flüsterten die beiden zusammen, ich konnte nichts verstehen. Dann verschwand Derrick durch ein Loch an der Seite – dieses hier.« Er zeigte auf den kleinen Raum hinter der Täfelung. »Morden wartete eine Minute und folgte. Ich ging nach. Morden trat ans Bett, ich auch, und dann«, bei dem Gedanken daran lachte er plötzlich vergnügt, »schoß Miss Seeton aus den Vorhängen und rief buh! oder so etwas Ähnliches. Morden war praktisch kampfunfähig vor Schreck. Ich schwang meine Zauberrute über seinem Kopf und gab ihm damit den Rest. Das ist alles«, schloß er.
Deirdre sah ihn schweigend an und überdachte die Geschichte mit allen ihren Folgerungen.
Der junge Kriminalpolizist war deprimiert. Er hatte sein Bestes getan, die Rolle ihres Bruders herunterzuspielen – keine Geister und andere Dinge erwähnt. Aber wenn sie ehrlich war, dann mußte sie erkennen, daß Derrick bis zum Hals drinsteckte. Und er selbst würde der Hauptzeuge sein. Ach, zum Teufel! Und mußte er immer betrunken sein oder ungepflegt aussehen, wenn er diesem Mädchen begegnete? Zugegeben, er hatte keine Aussichten, aber jetzt standen sie sich auch noch als Gegner gegenüber! Schließlich hob er seine Augen von dem Teppich, den er sorgfältig geprüft hatte. Deirdre saß zusammengekauert auf dem Kaminschemel und lächelte ihr warmes, vertrautes, alle bestechendes, betörendes Lächeln. Sie lächelte ihn an. Er schwebte in höheren Regionen. Er war riesengroß. Im siebenten Himmel – und er schwebte noch höher. Er grinste einfältig.
Miss Seeton beobachtete die beiden. So jung! Und sie paßten so
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