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Miss Wyoming

Miss Wyoming

Titel: Miss Wyoming Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Coupland
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Durchsetzungswille der Schwester war gebrochen, und sie ging hinaus. Marilyn nahm einen tiefen, triumphalen Zug. »Ich behalte immer das letzte Wort, nicht wahr, Susan?« 
    »Ja, Mom. Immer. Wenn's um Melodramatik geht, bist du die Größte.«
    »Soll das ein Kompliment sein?«
    Susan beschloss, dass es am klügsten wäre, die Augen zu schließen und so zu tun, als schliefe sie. Marilyn wandte sich wieder dem Psycho-Test in ihrer Zeitschrift zu und rauchte ihre Siegerzigarette. Susan ging im Geiste die unzähligen Dramen durch, die Marilyn inszeniert hatte, wie zum Beispiel, als sie einmal im Umkleideraum eine Flasche Rapsöl wohl gezielt auf den Badeanzug von Miss Orlando Pre-Teene spritzte, nachdem es beim Talentwettbewerb ziemlich eng für Susan geworden war. Sie hatte wie üblich Für Elise von Beethoven gespielt, aber Miss Orlando hatte eine Goldberg-Variation von Bach zum Besten gegeben, was auch den musikalisch naivsten Zuhörer zu ihren Gunsten umstimmen konnte. Infolge des Rapsöls (das nie mit Marilyn in Verbindung gebracht wurde) war Miss Orlando gezwungen, sich den Badeanzug von Miss Chattanooga zu leihen, und verlor.
    Susan gewann einen Nerzmantel und ein Wochenende in Waikiki. Beides wurde gegen Geld eingetauscht, um Reisekosten und Rechnungen begleichen zu können. Das Geld war ein angenehmer Nebeneffekt, aber keineswegs der einzige Grund, an Schönheitswettbewerben teilzunehmen. »Susan, es gibt kein Preisschild, das man auf Kultiviertheit und Überlegenheit kleben kann. Selbst wenn du das reichste Mädchen der Welt wärst, glaubst du, du könntest dir einfach eine Krone kaufen? In Siegertypen lodert eine Leidenschaft, von der Nichtsiegertypen nicht mal träumen können.«
    Marilyn nannte den ganzen Misswahlen-Zirkus »Karnickeln das Fell abziehen«, obwohl die Käfige, in denen sie früher Kaninchen gezüchtet hatte, um vom Verkaufserlös Kleider kaufen zu können, längst der Vergangenheit angehörten - seit Susan sich in eine Barbie-Puppe verwandelt und mit ungefähr sieben Jahren begonnen hatte, Jahr für Jahr den Titel der Young American Lady, Sektion Westküste, zu gewinnen. »He, Süße, sieht so aus, als hätte die Karnickelsaison begonnen. Die Häschen hoppeln heute Abend um ihr Leben!« Wenn alles gut lief, wenn Marilyn und Susan siegeshungrig zusammen durchs Land tourten und aus jeder Pore ihres Körpers den Duft von Haarprodukten verströmten, konnte sich Susan keine wunderbarere und aufopferungsvollere Mutter als Marilyn und auch keine exotischere und reizvollere Kindheit vorstellen. Die Schule war ein Witz. Marilyn rief regelmäßig dort an und log, Susan sei krank. Zum Ausgleich hielt sie ihre Tochter dazu an, drei Bücher pro Woche zu lesen sowie Sprech-, Tanz-, Klavier-, Haltungs- und Französischunterricht zu nehmen. »Schule ist was für Versager«, erklärte Marilyn Susan, nachdem sie zum wiederholten Mal einem besorgten Schulleiter einen Bären von einer Nierenentzündung aufgebunden hatte. »Eins kannst du mir glauben, meine Süße -wenn du die Tricks lernst, die ich dir beibringe, wirst du niemals auf der Verliererseite stehen.«
    Marilyn hatte Recht behalten. Mit diesem Gedanken tröstete sich Susan, während ihr vorgetäuschter Schlaf in echte Träume überging.
     

Kapitel Elf
     
     
    Ein halbes Jahr nach Susans Schönheitsoperation las Marilyn in einem Misswahlen-Newsletter, dass ein Juror, der sich Susan gegenüber nicht gerade wohlgesonnen gezeigt hatte, bei der am Memorial-Day-Wochenende im St. Louis Civic Auditorium anstehenden Wahl zur Miss American Achiever in der Jury sitzen würde. Marilyn wusste, dass dieser Juror, Eugene Lindsay, nach Susans Darbietung von Für Elise bei der Wahl zur Miss County USA vergangenen Herbst im Lee Greenwood Dinner Theater in Sevierville, Tennessee, gegen sie gestimmt hatte. Nach der Veranstaltung saß Marilyn am anderen Ende der von der Klimaanlage auf Eiseskälte temperierten Sitzecke in der Lounge des Best Western, wo sie allein einen doppelten Wodka-Tonic zu sich nahm, als sie Lindsays unverkennbare TV-Kreidefresserstimme sagen hörte: »Ich hab diese aufgezogenen Knirpse und ihre roboterhaften Beethoven-Light-Interpretationen so verdammt satt. Ich muss mir dieses gottverdammte Stück so oft anhören, dass es mir vorkommt, als ob ich in einem Fegefeuer schmore, das dem Hirn dieses Wichsers entsprungen ist, der die Musik für die Warteschleife der Ticket-Hotline von Delta Airlines zusammenstellt.« Weder seine Ausdrucksweise noch

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