Missbraucht
gefährlich zu werden, dann muss er eben weg", sagte Uwe, schon im Begriff aufzubrechen.
"Du hast gut reden, wie stellst du dir das vor?", der Doktor trieb sein Spiel gekonnt in die Richtung, die ihm vorschwebte.
"Da wird mir dann schon was einfallen, machen Sie sich keine Sorgen", dieses Mal klang Uwe überzeugend gefährlich. "Und jetzt komm Nicoletta!"
Der Doktor nickte den Beiden nur zu und lehnte sich ein Stück weit zufriedener in seinen Bürostuhl, als sie die Tür von außen zugezogen hatten.
Zu diesem Zeitpunkt konnte er nicht ahnen, dass sich die Ereignisse in den nächsten 48 Stunden überschlagen sollten.
*
29.06.1994
6:1 hatten die Russen die Kameruner geschlagen, ihr Stürmer Salenko erzielte fünf Treffer und das in einem WM-Spiel, unglaublich! Ein Rekord für die Ewigkeit. Der Kommissar hatte den Abend zu Hause verbracht, ohne einen einzigen Schluck Bier. Ein deutliches Zeichen, dass es gar nicht so schlimm um mich steht, überlegte sich Richard, als er um halb Vier aufstand, seine Morgentoilette verrichtete und Kaffee aufsetzte. Anschließend duschte er zügig, zog sich eine frisch gewaschene Levis, Turnschuhe und ein olivgrünes Hemd an. Er packte sich ein Bündel Wäsche, das er am Vorabend zurechtgelegt hatte, und steckte es in seine schwarze Sporttasche, die er mangels Alternative zur Reisetasche umfunktionierte. Es war eine reine Vorsichtsmaßnahme. Richard wollte unbedingt spätestens am Abend zurückkehren, aber um gegen alle Unwägbarkeiten gefeit zu sein, fühlte er sich mit einer Garnitur Ersatzwäsche einfach wohler. Er schüttete sich einen Pott Kaffee aus und befüllte mit dem Rest seine kleine silberne Thermoskanne für unterwegs. Für die Dauer einer Zigarettenlänge nahm Richard an seinem Küchentisch Platz und ließ sich die anstehende Fahrt durch den Kopf gehen. Um Viertel nach Vier verließ er seine Wohnung und fuhr ins Polizeipräsidium. Er stellte seinen Nissan ab, ging in sein Büro und griff nach einem Schnellhefter, der auf seinem Schreibtisch lag und in dem er die bisherigen Ermittlungsberichte und Ergebnisse abgeheftet hatte. Richard nahm sich den Schlüssel vom Passat und verließ um Vier Uhr vierzig Koblenz in Richtung Schwarzwald.
Der Passat war ihm lieber, da er seinem Nissan nicht unbedingt eine Strecke von dreihundert Kilometern zu muten wollte, wenn es nicht unbedingt sein musste. Dessen beste Zeit war abgelaufen. Außerdem war der Wagen drei Monaten TÜV überfällig und seit mehr als zwei Wochen ohne Versicherungsschutz. Der Passat hatte darüber hinaus einen weiteren Vorteil, er verfügte über Cup Holder. Für einen Mann wie Richard, gerade auf solch langen Strecken ein unverzichtbares Accessoire. Richard hasste Dienstreisen, obwohl er lange, einsame Autofahrten liebte. Er konnte dabei sehr gut nachdenken, hörte seine Musik, manchmal dezent, ein anderes Mal so, als wolle er der Carnegie Hall Konkurrenz machen und genoss das ein oder andere Bier.
Die Auseinandersetzung mit dem Oberstaatsanwalt Koepp verbuchte er als grandiosen Sieg oder besser als Halbzeitführung, denn er war noch nicht fertig mit dem Mann. Zwar sah sich Richard an seine Vereinbarung gebunden, aber auf keinen Fall hatte er vor, irgendwelche Ermittlungsergebnisse unter den Tisch fallen zu lassen. Wenn sich ein Zusammenhang zwischen dem Politiker Baumel und dem Verdacht der Kinderpornografie erhärten sollte, würde er dies Koepp genüsslich um die Ohren schlagen. Auf Wahlen und Karrieren würde Richard bestimmt keine Rücksicht nehmen, zumal er für die betroffene Partei so gar keine Sympathien aufbringen konnte.
Außer ein paar gelegentlichen nächtlichen Schauern meinte es der Sommer ´94 gut. Heute wird wieder ein klasse Tag werden, dachte der Kommissar, als er in Koblenz losfuhr. Die Zeiten, in denen er versuchte immer neue Geschwindigkeitsrekorde aufzustellen, hatte er lange hinter sich gelassen. Richard wusste, dass sich das Trinken und die Raserei nicht vertrugen und setzte deshalb seine Prioritäten. Trinken, ohne zu rasen. Die Route nach Achern eignete sich allerdings ohne hin nicht zum schnellen Fahren, auf der überwiegend zweispurigen A61 war zu viel Betrieb, gerade um diese Zeit. Bei Walldorf, als er weit über die Hälfte der Strecke hinter sich hatte, bog er auf die A5 Richtung Basel ab. Seine Reise gestaltete sich relativ entspannt, bis er kurz vor dem anvisierten Ziel durch eine ellenlange Baustelle mit Geschwindigkeitsbegrenzung und verengten Fahrspuren fahren musste.
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