Missbraucht
niemand sein Gesicht verlieren würde. Im Moment sah es nämlich so aus, dass sowohl er als auch seine Dienststelle zu den Verlierern in dieser Sache zählten. Von Kommissar Mees gar nicht zu reden.
Oberstaatsanwalt Koepp beherrschte sein Metier und setzte nach dem Einwand des Polizeidirektors die Maske des Überraschten auf. "Ich glaube, Sie haben nicht verstanden Herr Me rtes. Okay, noch einmal zum Mitschreiben. Ihr Kommissar, der von uns allen, hoch geschätzte Herr Mees, hat ein nicht zu leugnendes Alkoholproblem und der Fall Baumel birgt zugegebenermaßen, eine nicht unerhebliche politische Brisanz. Aus diesem Grunde kann es sich die Staatsanwaltschaft nicht erlauben, dass nur die kleinste Kleinigkeit schief geht oder falsch gehändelt wird. Wir müssen unsere Unabhängigkeit bewahren und das wird nach dem Auftritt, den der Herr Kommissar gestern an den Tag gelegt hat, mehr und mehr in Zweifel gezogen."
"Wer zieht das in Zweifel?", die Frage des Polizeidirektors war überflüssig wie ein Kropf. Und als er es gesagt hatte, wusste er gleich, dass die Antwort unausgesprochen bleiben würde.
Der Rechner in Richards Kopf arbeite unter Hochdruck. Das schlimme an der Sache war, dass Koepp recht hatte. Er hatte recht, was das Alkoholproblem betraf und er hatte recht, was die Voreingenommenheit des Kommissars gegenüber den politischen Freunden des Herrn Oberstaatsanwaltes betraf. Und doch war es nicht fair. Denn bei aller Voreingenommenheit würde es nie eine Rolle in seinen Ermittlungen spielen, dachte sich der Kommissar. Wenn die Ergebnisse seiner Untersuchungen allerdings ergaben, dass er dem Herrn Oberstaatsanwalt und den feinen Herrn Politikern eine Breitseite verpassen konnte, dann nichts lieber als das, aber es musste sorgfältig abgewogen werden.
"Vielleicht hat Herr Koepp ja recht. Es ist besser, ich gebe den Fall ab." Damit hatte niemand gerechnet. Dass ausgerechnet Richard so schnell nachgeben würde, versetzte alle Anwesenden in ungläubiges Staunen. Besonders Sandra und den Oberstaatsanwalt, der aber sofort hellwach war.
"Okay, verfahren wir, wie es Herr Koepp angeregt hat, lassen wir das BKA ermitteln. Aber bis dahin werde ich sehen, ob die Kollegen in Achern etwas Interessantes für uns herausgefunden haben." Bis zu diesem Zeitpunkt sah Koepp sein perfides Spiel aufgehen, aber als Richard fortfuhr, schnürte es ihm den Hals zu. "Da uns ja nicht mehr viel Zeit bleibt, sollten wir im Bekanntenkreis von Frank Baumel, aber natürlich auch bei der politischen Konkurrenz, anhand der gefunden Bilder der Frage nochmals verstärkt nachgehen, wer etwas über eventuelle, wie soll ich sagen ...", Richard lächelte den Oberstaatsanwalt an, "... andersgeartete Neigungen des Mordopfers weiß. Vielleicht haben die in Achern ja auch schon was herausgefunden, zum Beispiel Verbindungen zu einem Pädophilenkreis oder so was in der Art." Treffer!!
Koepp entgleisten die Gesichtszüge. Er hatte sich vor sechzig Sekunden noch als strahlender Sieger gefühlt und musste nun diesen " Lucky Punch" einstecken. Man konnte es sich vorstellen, wie er an die Ringseile taumelte, und versuchte sich von diesem Schlag zu erholen. Er musste nicht lange überlegen, was es bedeutete, wenn Richard mit den Bildern hausieren ging. Ein politisches Erdbeben würde es im Land auslösen, vielleicht ging es sogar noch über die Landesgrenzen hinaus. Die Aussicht auf das Ministerium konnte er sich abschminken, die Karrieren seiner politischen Freunde wären am Ende. All das wegen des verdammten toten Kinderfickers und dem ehrgeizigen, versoffenen Kommissar , ging es Koepp durch den Kopf. Richard und Koepp beharkten sich gedanklich auf Augenhöhe, wohin gegen die anderen Anwesenden einen Tick länger brauchten, die veränderte Situation richtig einzuordnen. War es eben noch Richard, der am Boden zu liegen schien, so stand jetzt der Oberstaatsanwalt vor dem Knock-out. Mees hatte ihn mit einem klassischen Konter in den Staub geschickt. Der Oberstaatsanwalt versuchte zu retten, was zu retten war, aber dafür musste er den Dreck schlucken, den ihm Richard gerade um die Ohren schlug. Er startete einen letzten Gegenangriff.
"Das werden Sie nicht tun", sagte Koepp und bemühte sich Richards Wirkungstreffer zu verbergen.
Richard hatte hoch gezockt. Wenn er jetzt nachgab, war er aus dem Spiel. Richards Trinkerei war der Trumpf von Koepp, aber dass der Kommissar die Bilder aus Baumels Tresor hatte, war gleichzeitig Trumpf und Joker für ihn. Er besaß die
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