Missbraucht
Mertes machte einen sehr zufriedenen Eindruck, bis er den bösen Blick von Richard Mees bemerkte und schlagartig wieder an Sandra Götze erinnert wurde.
*
30.06.1994
Nachdem die Zusammenkunft beendet war, blieb noch eine knappe dreiviertel Stunde bis zur Abfahrt nach Montabaur. Richard nutzte die Zeit und führte drei Telefongespräche. Zuerst rief er im Bundeswehrkrankenhaus an und ließ sich über Sandras aktuelles Befinden in Kenntnis setzen. Alles noch unverändert. Sandra schlief und ihr Zustand war stabil. Richard wurde versichert, dass er nach Mittag ruhig noch einmal anrufen durfte.
Die zweite Frage betraf Dr. Heb. Dafür wurde er an dessen behandelnden Arzt durchgestellt. Es dauerte eine Weile und er musste der Sekretärin erst die Autorität eines ermittelnden Kriminalkommissars klarmachen, bis er mit Prof. Dr. Manfred Pinther, dem Chef der neurologischen Abteilung verbunden wurde. Der Professor kam gleich zur Sache. Sein Bericht machte Richard wenig Hoffnung. Professor Pinther schloss kategorisch aus, dass Friedhelm Heb in nächster Zeit eine Aussage machen konnte, er bezweifelte sogar, dass sein Patient jemals wieder eine Aussage machen konnte. Seiner Ansicht nach waren die Schäden, die in Dr. Hebs Gehirn durch die Unterbrechung der Sauerstoffzufuhr entstanden waren, so gravierend, dass berechtigte Bedenken ange-bracht waren, ob Friedhelm Heb jemals wieder aus dem Koma erwachen würde. Vermutlich blieb Heb, für immer ein Pflegefall. Bleibende Schäden waren unabdingbar, das konnte der Professor schon nach diesen wenigen Stunden mit größter Wahrscheinlichkeit diagnostizieren. Richard bedankte sich und beendete das Gespräch. Plötzlich fühlte er wieder den Kloß im Hals. Was hatte die Frau nur für eine blutige Spur hinterlassen?
Das letzte Telefonat führte Richard mit Oberkommissar Heyne, seinem Offenburger Kollegen. Nach den üblichen Begrüßungsfloskeln, die vonseiten des Oberkommissars diesmal ganz besonders überschwänglich ausfielen, kamen sie zum Wesentlichen. Die Spurenlage im Schwarzwald hatte sich seit gestern nicht nennenswert verändert. Über den geheimnisvollen Nicu, oder wie immer er auch heißen möge, lagen noch keine neuen Erkenntnisse vor. Für Heyne war das kein großartiges Problem. Er sah den Fall als gelöst und vor seinem geistigen Auge lief gerade zum x-ten Mal das Video ab, auf dem Uwe Stromberg beim Tanken zu sehen war. Auch wenn die Westerwälder Kollegen, die Täter gefasst hatten, der entscheidende Hinweis kam von der Soko Achern. Was für ein Triumph!
Heyne war Richard in einer Angelegenheit weit voraus. Er hatte gestern am frühen Abend, nachdem er über die Geschehnisse im Westerwald unterrichtet worden war, für vier Journalisten der örtlichen Medien bereits eine kleine, improvisierte Pressekonferenz gegeben. Er sah es als Generalprobe dafür an, was noch bevorstand, wenn alle Fakten auf dem Tisch lagen und der Fall endgültig aufgeklärt war. Eine richtig große PK mit dem Staatsanwalt, dem Polizeidirektor und natürlich mit ihm, vor der komplett versammelten Pressemeute, einschl. der regionalen Rundfunkanstalten und, das Wichtigste, den regionalen Fernsehsendern. Der Gedanke daran ließ den Oberkommissar zufrieden lächelnd in seinen Sessel zurücksinken.
Oberkommissar Heyne wurde von seinem Koblenzer Kollegen geradezu verwöhnt mit Neuigkeiten. Er war zwar schon im Groben über den Ablauf der gestrigen Festnahme in Montabaur informiert, doch die Details aus erster Hand von Richard, waren Gold wert für ihn. Damit konnte er glänzen. Die Acherner Sonderkommission stand übrigens vor der Auflösung. Die Täterfrage schien geklärt, man musste zwar die Zusammenhänge noch ermitteln, aber dafür reichte weniger Personalaufwand.
Das Gespräch brachte Richard wenig voran, sein Offenburger Kollege hatte nichts Neues zu erzählen. Bis auf eines!
"Hör mal, eine interessante Neuigkeit habe ich noch ...", Friedbert Heyne machte es spannend. Richard hätte schon wieder platzen können wegen dieser kindlichen Geheimnistuerei. Er hasste das.
"Ja? Komm, raus mit der Sprache!"
"Dieser Nicu hat am 16., spätabends, um 23:15 einen Anruf erhalten."
Richard kochte. Ein Anruf, toll! Von wem, was hat das mit dem Fall zu tun?
"Friedbert bitte klär mich auf, ich muss gleich weg zu einem Meeting mit dem Oberstaatsanwalt und den Kollegen aus Montabaur", der Kommissar wurde ungeduldig.
"Okay! Also, dieser Nicu ist am 16. spätabends noch angerufen worden und nun rate
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