Missbraucht
unter diesem Haufen aufgequollenem bunten Fleisch, das den freien Teil ihres Gesichts zierte. Richard Mees hatte bei der Festnahme ganze Arbeit geleistet. Ihr Nasenbein und das linke Jochbein waren gebrochen. Außerdem hatte sie eine üble Schädel- und Rippenprellung davongetragen, die entweder von massiver Gewalteinwirkung oder einem Sturz her rührte. Je nach Zeugenaussage.
Vor ihrem Zimmer war eine Streifenpolizistin zur Bewachung postiert und ein männlicher Kollege stand am Eingang zur Station. Frau Tschetschowa war an diesem Morgen körperlich nicht in der Lage einen Fluchtversuch zu riskieren. Zu sehr behinderten sie die erlittenen Blessuren. Selbst der Gedanke an eine Bewegung ließ sie schmerzhaft zusammenzucken. Langsam sortierte sie ihre Gedanken. Sie verfluchte sich dafür, die Polizistin und den Typen auf dem Parkplatz niedergestochen zu haben. Bis dahin hätte sie sich vielleicht noch herausreden können, aber jetzt hing sie am Haken. Dass der junge Mann immer noch um sein Leben kämpfte, konnte sie nicht wissen. Sie musste sich einen Plan zurechtlegen, um möglichst gnädig aus der Sache heraus zu kommen und auch einen ersten Gedanken an Flucht warf sie nicht zu weit fort. Aber es strengte sie alles noch zu sehr an und nach wenigen Minuten nickte sie ein.
*
30.06.1994
Richard Mees saß auf der Rückbank des Dreier Kombi, mit dem sie nach Montabaur fuhren. Ein junger Polizeimeister steuerte den Dienstwagen des Polizeidirektors, der auf dem Beifahrersitz Platz genommen hatte und versuchte, Richards Bericht über den nächtlichen Anruf aus Hebs Büro einen Sinn zu geben. Man sah ihm förmlich an, wie er nach einer plausiblen Erklärung suchte. Erfolglos!
"Dieser Heb war mir von Anfang an nicht koscher", bemerkte Richard aus dem Fond des Wagens. Neben ihm saß Peter Michel, der ihn nur schulterzuckend ansah, aber ansonsten schwieg.
"Ich bekomme einfach keinen Zusammenhang hin, zwischen dem Doktor und diesem Rumänen dort unten. Peter ich will, dass du dich gleich auch noch mal genau in Hebs Büro umsiehst, den Pressetermin bekommen wir alleine hin", wies Mertes den Mann von der KTU an.
"Alles klar!" lautete die lapidare Antwort. Natürlich bekommt ihr die Pressekonferenz alleine hin, ich wäre doch eh nur Staffage , dachte sich Michel und grinste in sich hinein.
Den Rest der Fahrt bis Montabaur verbrachten sie überwiegend schweigend, jeder machte sich so seine Gedanken, wie es weiter ging.
Das Meeting fand in einem auf die Schnelle extra hergerichteten Zimmer im Polizei-präsidium statt. Oberstaatsanwalt Koepp wurde von Frau Heuss und einem Referenten begleitet. Sie setzten sich an die die Seite, die den Fenstern zugewandt war und genossen wenigstens ab und zu einen leichten Luftzug. Polizeidirektor Schön, Hauptkommissar Wagner von der Kripo Montabaur und Polizeidirektor Mertes und Kommissar Mees nahmen ihn gegenüber Platz. "Schmittchen" hatte drei Kannen frischen Kaffee auf die zusammengeschobenen Tischen gestellt
Es war vorgesehen, den Pressetermin in einem der Studiersäle des Jugendheims abzuhalten. Bei dieser Gelegenheit sollte den Fotografen und Kameraleuten die Möglichkeit eingeräumt werden, erste Aufnahmen vom Ort der schrecklichen Geschehnisse zu machen. Das Medieninteresse war über Nacht immens angewachsen und wurde ständig größer. Es schien den Verantwortlichen, als ob Montabaur sogar die Fußball WM in den Hintergrund gerückt hätte. Immer mehr Reporter und Übertragungswagen von Fernsehsendern aus ganz Deutschland hatten sich rund um das Heim postiert. Der Oberstaatsanwalt ließ sich ständig über die Entwicklung unterrichten und registrierte es mit merklicher Genugtuung, wohingegen den Kriminalbeamten dieser mächtige Medienauftrieb immer unheimlicher wurde.
Nach der Begrüßung ließ es sich Koepp nicht nehmen, die Arbeit der Polizei grundsätzlich zu loben. Er stellte gleichzeitig klar, dass Richards eigenmächtiges Entfernen aus Montabaur, Konsequenzen nach sich ziehen würde. Die Beamten fassten das Geschehen, die bisherigen Ermittlungsergebnisse und die weitere Vorgehensweise zusammen. Koepp zeigte sich durchaus zufrieden, zumal alles, was er zu hören bekam, so gut zu der von ihm und seinen Parteifreunden gewünschten Theorie vom Raubmord passte.
Richard überließ es Hauptkommissar Wagner, den Oberstaatsanwalt über das von Hebs Büro aus geführte Telefonat in den Schwarzwald zu informieren. Er wollte den Ball flach halten und kein weiteres Öl auf die
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