Missbraucht
zu bekommen, wonach im gerade der Sinn steht. Nicoletta nahm sich vor, über einen Plan nachzudenken, wie sie sich das Problem Ilia ein für alle Mal vom Hals schaffen konnte.
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23.06.1994
Im Jugendheim Montabaur waren sowohl Kinder als auch Jugendliche untergebracht. Das Gebäude war ein imposantes Bauwerk. Es diente bis Ende der Achtziger Jahre als Internat für auswärtige Schüler, die das staatliche Aufbaugymnasium besuchten, das am anderen Ende der Stadt lag. Das Wohnheim hatte unter der Leitung der katholischen Kirche gestanden, bis der Kreis das Gebäude übernahm. Das erklärte die großzügige Bauweise und die hochwertige Ausstattung des Hauses. Im Keller des Neubaus war sogar ein Hallenschwimmbad, mit langen Bahnen vorhanden, dass jeder Kommune zur Ehre gereicht hätte. Neben fünf großen Sammelumkleidekabinen waren zusätzlich zwanzig Einzelkabinen vorzufinden. Allein daran ließ sich ermessen, welche Summen die Kirche in das Internat investiert hatte, um den untergebrachten Schülern das Wohnen so annehmlich wie möglich zu gestalten. Im weiten Umkreis gab es keine ähnliche Einrichtung, die den Standard des Bischhöflichen Konvikts Montabaur erreichte. Als bekannt wurde, dass sich die Kirche von dem Objekt trennen wollte, übernahm der Kreis das Haus, in der Absicht, es später als Sitz für die stetig wachsende Kreisverwaltung zu nutzen. Die Internatsschüler sollten künftig im gleichen Gebäude wie die Mädchen, die in einem Heim in unmittelbarer Nähe des Gymnasiums wohnten, untergebracht werden. Bis zum Umzug der Kreisbehörde war vorgesehen, dass die Einrichtung zweckgerecht weitergeführt werden sollte. Deshalb wurde im Gebäude ein Jugendheim eingerichtet, dessen Träger zu gleichen Teilen der Kreis und die, der katholischen Kirche nahestehende, Walter Bock Stiftung war. Überwiegend wohnten Jungen im Haus. Nur ein Gebäudeflügel war für Mädchen bestimmt. Um eine optimale Auslastung zu erreichen und die Belegung mit Steuergeldern zu erreichen und zu sichern, kam man schon kurz nach der Eröffnung zu dem Entschluss auch Mädchen aufzunehmen. Natürlich hatte diese Entscheidung auch politische Hintergründe, auf die aber an dieser Stelle nicht eingegangen werden soll. Inzwischen waren einige Renovierungsarbeiten nötig und Dr. Friedhelm Heb, der Leiter der Einrichtung führte einen stetigen Kampf um mehr finanzielle Zuwendungen seitens des Kreises, wohl wissend, wie eng der Rahmen dafür gesteckt war.
Die Kinder waren in Zwei- bis Vierbettzimmern untergebracht, je nach der Altersstufe. Außer dem Küchenpersonal, dem Hausmeister mit seinem Gehilfen und den zwei Sekretärinnen arbeiteten fünf Männer und Frauen im pädagogischen Bereich. Montags und Freitags kam eine Putzkolonne und besetzte jeweils einen Vormittag lang das Haus.
Um 17:30 Uhr war Zeit zum Abendessen im Jugendheim. Rund achtzig Jungen und Mädchen nahmen ihr Abendbrot gemeinsam ein. Die jüngsten waren drei Jahre alt und ein paar der Ältesten arbeiteten gerade an ihrem Schulabschluss, um dann irgendwo im betreuten Wohnen einer Arbeit nachzugehen. Mit ach tzehn mussten die Jugendlichen dieses Haus verlassen. Einige von Ihnen hatten bis dahin den größten Teil ihres Lebens hier verbracht, für andere war das Heim nur eine von vielen Stationen, auf ihrem Weg in das Erwachsen werden. Auf die Einhaltung der Essenszeiten und die Anwesenheit aller wurde größten Wert gelegt. Zwei Erzieher nahmen immer am Essen teil. Als das Haus noch unter der Verwaltung der Kirche stand, wurde vor den Mahlzeiten regelmäßig mit den Schülern ein Gebet gesprochen, aber davon war man inzwischen abgekommen.
Dr. Heb beabsichtigte, ein dringendes Gespräch mit Mathae zu führen und trat an dessen Tisch, an dem er mit drei weiteren Jungen sein Essen einnahm.
Er lächelte sie vertraut an: „Na schmeckt´s euch?" Die Jungen nickten.
"Dir auch Mathae?"
"Ja!", lautete die leise Antwort.
Dr. Heb lächelte wieder angesichts des guten Appetits, den Mathae an den Tag legte.
"Das ist schön, freut mich. Hör mal zu Mathae, ich habe was mit dir zu besprechen und deshalb möchte ich, dass du gleich, wenn du mit dem Essen fertig bist, in mein Büro kommst. Würdest du das machen?"
Den letzten Satz hätte er sich sparen können. Natürlich würde Mathae das machen. Er würde alles, aber wirklich alles machen, was der Doktor von ihm verlangte.
"Ja!"
Mathae war mit seiner Schwester Nadia und einem weiteren Kind vor vier Jahren von Rumänien nach
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