Missbraucht
Deutschland gekommen. Sie gehörten zu den ersten Kindern, die nach der politischen Wende und dem Bekanntwerden der katastrophalen Zustände in rumänischen Kinderheimen, von deutschen Einrichtungen die Chance bekamen in eine neue, optimistischere Zukunft zu starten. Leider entpuppte sich die Eingliederung der beiden als viel schwieriger als gedacht und durch mehr oder weniger tragische Umstände, wurde das Jugendheim in Montabaur ihr neues Zuhause. Nadia und Mathae sollten mit der fachlichen Hilfe der Pädagogen lernen, soziale Kontakte zu knüpfen und Vergangenes zu verdrängen. Dass in solch einer Einrichtung Sauberkeit, Ordnung und vor allen Dingen Aufmerksamkeit und Zuwendung Standard waren, kannten sie aus dem Rumänien, in dem sie aufgewachsen waren, nicht. Dies bezüglich hatten sie jahrelang Anderes erlebt. Welchen Preis diese Annehmlichkeiten haben sollten und das der Junge zum Zahlmeister auserkoren war, konnten die Kinder nicht ahnen.
Äußerlich hatten die Jahre im rumänischen Waisenhaus bei Mathae keine Spuren hinterlassen. Die mangelhafte Ernährung und die verlausten, dreckigen Unterkünfte, die so viele Kinder früh hatten altern lassen, waren augenscheinlich an ihm vorbei gezogen. Er war ein schmächtig wirkendes Bürschchen mit weichen Gesichtszügen.
An Nadia hingegen waren die Entbehrungen nicht spurlos vorbei gegangen. Neben dem Umstand, dass sie im Gegensatz zu Mathae, immer noch permanente psychologische Behandlung bekam, sah man ihr die zurückliegende Zeit an. Obwohl sie inzwischen drei Jahre in Montabaur lebte, wirkten ihre Augen in den tiefen Höhlen, wie die einer alten Frau und ihre Haut war nicht minder fahl. Wenn man sie beobachtete, konnte man glauben, dass sie sich wohl nie mehr an Menschen gewöhnen würde. Ihre permanente Angst umgab sie wie eine Hülle. Außer zu ihrem Bruder scheute sie jedweden Kontakt. Mathae fühlte sich für sie verantwortlich. Seine Mutter hatte ihm diese große Aufgabe vor langer Zeit mit auf den Weg gegeben. Als sie ihre beiden Kinder auf einem dreckigen einsamen Platz in dem kleinen Städtchen Baijush ihrem Schicksal überließ, hatte sie Mathae in die Pflicht genommen..
Die ersten Monate in der neuen Heimat waren für die Geschwister wie eine Reise in s Abenteuerland. Alles war neu für sie und ihnen vollkommen unbekannt. Volle Teller, saubere Wäsche, saubere Toiletten und heißes Wasser, alles Dinge, die sie nicht kannten. Die Eindrücke erschlugen sie förmlich. Die erste Zeit ihres Aufenthaltes, die sie in einer Westerwälder Pflegefamilie verbrachten, verschüchterte und verunsicherte die Kinder darum mehr, als es die Aufmerksamkeit der Pflegeeltern auszugleichen vermochte. Das war mit ein Grund dafür, dass der Versuch der Integration in diesem Umfeld scheiterte. Nadia und Mathae kamen daraufhin in das Jugendheim Montabaur. Dort legten die Erzieher im Umgang mit ihnen eine Sorgfalt an den Tag, die ihnen noch nie so zuteilgeworden war. Während Mathae sich langsam zu öffnen begann, blieb Nadia zurückhaltend und verstört. Eine Psychologin besuchte die beiden regelmäßig und arbeitete mit ihnen. Sie äußerte sehr schnell den Verdacht, dass die Kinder in Rumänien sexuell missbraucht worden waren, obwohl es vonseiten der Geschwister diesbezüglich keine konkreten Aussagen gab. Die Psychologin glaubte, dafür genügend Anhaltspunkte aus den vielen Sitzungen und Unterhaltungen mit den beiden gefunden zu haben. Obwohl man die "Gespräche" wirklich nicht als Gespräche bezeichnen konnte, da Mathae, außer einem rumänischen "da", verbunden mit einem Kopfnicken oder einem "nu" und dem dazu gehörigen Kopfschütteln nichts sagte und Nadia völlig stumm blieb. Trotzdem wollte die Therapeutin den sexuellen Missbrauch herausgehört haben und vermerkte es in den Untersuchungsberichten, die alle als Kopien in den Akten der Heimleitung abgeheftet wurden. Bestimmt wäre es für Mathae besser gewesen, wenn die Psychologin ihre Vermutungen etwas zweifelhafter gehandhabt und sie mit fundierten Beweisen untermauert hätte. Ihre angeblich gewonnen Erkenntnisse deckten sich mit Aussagen anderer Kinder. Viele berichteten, davon, dass sie im Heim missbraucht worden seien, sowohl vom Personal als auch von Besuchern, denen sie regelmäßig zugeführt und zu Diensten sein mussten. Es gab Berichte über Heime, die regelrecht als Bordellbetriebe für Partei- und Militärbonzen dienten. Nach Erkenntnissen westlicher Geheimdienste sollen manch ausländischer
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