Missing Link
nicht reich geworden war, indem er irgendwelchen Impulsen unüberlegt nachgegeben hatte.
»Das hätte ich von Ihnen auch gar nicht erwartet«, sagte er ruhig.
Plötzlich verstummte das Trommeln. Die Insekten führten das Konzert fort, während die Männer vollkommen regungslos verharrten. Ein Unisono leiser Schreie ertönte, gefolgt von einem Dröhnen, das sich nach einem Chor aus tausend tiefen Stimmen anhörte. Halb sprechend, halb singend grölten die Männer. Dann setzten die Trommeln wieder ein. Diesmal lauter. Voller.
Dorn merkte, dass Jack aufmerksamer geworden war. »Was geht da vor?«, fragte er.
»Das ist keine Standardzeremonie. Sie verwenden jetzt heilige Trommeln«, flüsterte Jack.
»Was für eine Zeremonie ist es dann?«
Jack blickte durch das dichte Gestrüpp. Ein Weg, von hohem Buschwerk verdeckt, führte hinauf zum Kamm - fort vom Wachposten.
»Das werden wir gleich herausfinden«, sagte er.
Plötzlich wachte Samantha auf und blickte hinüber zum anderen Feldbett. Ben war fort. Sie hatte ihn nicht einmal aufstehen hören. Zwar fragte sie sich, wohin er wohl gegangen war, aber sie war seine Eigenarten gewohnt. Ben Dorn war ein hektischer Mensch, war es immer schon gewesen. Sie hatte schnell gelernt, sich nicht über sein Kommen und Gehen aufzuregen, und redete sich ein, dass sie genau diese Unabhängigkeit an ihm reizte. Zumindest funkte er ihr nicht bei ihrer Arbeit dazwischen, und es störte ihn nicht, dass sie so viel Zeit in ihren Beruf investierte.
Samantha hatte ihn bei einer Ausstellungseröffnung im Museum of Modern Art kennen gelernt. Sobald sie seinen starken südafrikanischen Akzent bemerkt hatte, hatte sie gewusst, dass die Sache kompliziert werden würde. Er war sehr nett, Samantha gefiel das, doch nach einer Weile wurde klar, dass etwas fehlte. Sie konnte nicht sagen, was, aber beim Abendessen zu ihrem Einjährigen war sie sich dessen auf schmerzhafte Weise bewusst geworden. Der hübsche ihr gegenübersitzende Mann hatte alles, was sich eine Frau wünschte. Trotzdem stimmte etwas nicht.
Eineinhalb Jahre später hatte sie schließlich diese Expedition nach Mali geplant. Beiden war klar, dass die Dinge zwischen ihnen nicht perfekt liefen. Aber ihre Beziehung war herzlich und bequem. Er gab Samantha Dinge, die sie nicht hatte - zum Beispiel Unterstützung bei ihrer Arbeit vor Ort, sowohl emotional als auch finanziell. Aber nach dem Wiedersehen mit Jack war sie ins Grübeln gekommen.
Sie schlüpfte in ihre dicken Wollsocken. Ihre Geländestiefel schüttelte sie erst heftig aus. Ein paar Feuerameisen fielen heraus, die sie ohne schlechtes Gewissen zerquetschte; sie war vorher schon mal gebissen worden, und es hatte höllisch wehgetan. Dann zog sie sich ein weißes Trägerhemd über den nackten Oberkörper. Jack hatte diese Hemden immer an ihr gemocht, besonders ohne BH. Aber jetzt wurde das dreckige Ding weder für ihn noch für einen anderen Mann getragen - es war einfach teuflisch heiß.
Außer Atem erreichten die beiden Männer den Hügelkamm. Unter ihnen warfen fünf große Lagerfeuer einen schaurigen Schein über hunderte von rhythmisch und synchron tanzenden Dogon. Mit ihren Füßen wirbelten sie kleine Staubwolken von der harten Erde auf. Einige der Dogon trugen Lanzen, aber die meisten umtanzten die Feuer ohne Waffen. Ein paar Männer am Rand des Kreises lehnten auf großen Macheten, mit denen sie sich sonst durch die Savanne arbeiteten.
Der Tanz erreichte mit dem melodischen Gesang einer Frauengruppe seinen Höhepunkt, bis die Tänzer in einer Kakophonie aus Gegröle und Geschrei innehielten. Einer der Stammesältesten betrat langsam den beleuchteten Kreis und begann einen Sologesang.
»Einer ihrer geistigen Führer«, flüsterte Jack.
Der Mann trug einen großen Kopfputz aus einem vertikalen Holzstab, der oben und unten von zwei horizontalen Stäben geteilt wurde. Das Ganze sah wie ein roh gezimmertes Modellflugzeug mit einem überdurchschnittlich großen Heck aus. Nach ein paar Augenblicken wurde der Führer von einer kleinen Gruppe von Männern unterstützt, die wie unter Hypnose um eines der glühenden Feuer tanzte.
Dieser Tanz schien anders zu sein. Ausgefeilter.
»Was bedeutet das?«, fragte Dorn.
Jack antwortete nicht gleich. Er hatte gerade erkannt, wer diese Tänzer waren. Sein Magen krampfte sich zusammen. »Diese Leute tanzen den Awa.«
»Den Awa?«
»Eine maskierte Dogon-Gruppe . Begräbnistänzer.« »Wessen Begräbnis?«
Jack kroch bereits den Hang
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