Mission Ares
in jener Nacht im Hotel in LA begonnen hatten. Mein Gott, es war Januar. Fast ein Jahr her. Sie wußte nicht, welche Richtung ihr Leben nehmen würde. York hatte Mike nicht einmal von der Bewerbung fürs Astronauten-Korps, vom Besuch in Houston und der Quälerei auf dem Luftwaffenstützpunkt erzählt. Ben Priest wußte natürlich Bescheid, aber sie hatte ihn gebeten, Mike nichts davon zu erzählen. Ben hatte sich zwar gewundert – sie hatte sich sogar über sich selbst gewundert –, doch sie hatte darauf bestanden.
Sie rechnete nicht damit, daß ihrer Bewerbung Erfolg
beschieden war. Eigentlich nicht. Aber sie wollte sehen, wie weit sie kam. Sie betrachtete es als etwas, das sie nur für sich tat, ohne die Billigung oder Mißbilligung von Mike oder sonst jemandem.
Sie würde Mike alles erzählen, wenn sie scheiterte.
Falls sie scheiterte.
Und wenn sie Erfolg hatte? Wie würde sie es ihm dann
beibringen?
Oh, hallo, Schatz, ich bin’s. Ach, nichts Besonderes…
Ähem … Ja. Ich vermisse dich auch. – Ach, übrigens. Ich habe meine Karriereplanung umgeworfen und werde zum Mars fliegen. Meine Eierstöcke werden von der kosmischen
Strahlung verödet werden… Ach was,! Wieso ich dir nichts davon gesagt habe? Ach, du weißt doch, wie das ist. Wir beide haben so furchtbar viel um die Ohren! … Mike? Mike?…
Sie öffnete den Umschlag.
Der Bescheid war negativ. Die Bewerbung war abgelehnt
worden. Sie erfüllte nicht die verdammten körperlichen
Voraussetzungen für die NASA.
Sie wankte zum nächsten Stuhl und setzte sich hin. Etwas schmolz in ihrem Innern und floß wie durch einen Abfluß ab.
Es wird nicht geschehen. Vielleicht werde ich in einem
sterilen Labor in Houston eine Gesteinsprobe unter Glas
untersuchen. Und jemand anders wird auf dem Mars
Spazierengehen und mit den Händen durch den rostfarbenen Dreck fahren. Aber nicht ich.
Wo es nun amtlich war, wurde ihr bewußt, wieviel ihr daran gelegen hatte. Im Rückblick sah sie den Traum vom Mars wie einen rubinroten Laserstrahl durch ihr Leben tanzen, nach dem all ihre Handlungen sich ausgerichtet hatten. Sie hatte das Raumfahrtprogramm mit Zynismus betrachtet: seine Kultur und die Auswirkungen auf die Gesellschaft ihres Landes. Zum Teufel, sie lehnte es wirklich ab. Die ganze Sache war grundfalsch und eine reine Geldverschwendung, und die wissenschaftlichen Ziele wären auch realisierbar gewesen, ohne schlecht ausgebildete menschliche Wesen in überladenen Raumschiffen mit Leckagen im Bordsystem ins All zu schicken…
Doch solange sie existierte, diese zerbrechliche Leiter von der Erde ins All, wollte sie sie besteigen. Ja! Ich gebe es zu. Ich wollte. Ich wollte es mehr als alles andere!
Sie zerknüllte den Brief und warf ihn auf den Boden.
Sie war froh, daß Mike nicht hier war.
Ben Priest rief ein paarmal an und hinterließ Nachrichten auf dem Anrufbeantworter. Er empfand Mitgefühl für sie.
Sie rief ihn nicht zurück.
Jorge Romero rief an. Er war förmlich am Durchdrehen.
»Weißt du, daß kein einziger Geologe den Eignungstest
bestanden hat? Ist das zu fassen? Mein Gott. Wie kann man nur zum Mars fliegen und keinen Geologen mitnehmen? Ich sag dir, Natalie, ich werde darum kämpfen.«
York wollte das eigentlich gar nicht hören.
Es war nun eine Woche her, und sie hatte versucht, die ganze Sache abzuhaken. Die meiste Zeit genügte sie sich selbst, doch nun hätte sie sich doch jemanden zum Reden gewünscht. Und wenn es ihre Mutter gewesen wäre.
Na ja, vielleicht auch nicht.
Sie befand sich in einem leichten Schockzustand: es war, als ob sie alles auf eine Karte gesetzt und ihre ganze Energie in eine Zukunft investiert hätte, die Mars hieß.
Doch nun sagte sie sich, daß der Traum vom Mars eine Art pubertäre Phantasievorstellung gewesen sei, von der sie sich endlich befreien müßte. Sie spürte einen Anflug von Scham, weil sie die üblen Spiele des Bewerbungsausschusses mitgemacht hatte. Und es entsprach sicher der Wahrheit, daß sie weit mehr – sogar in bezug auf die Mars-Studien – hier auf der Erde zu erreichen vermochte, als wenn sie ein Jahrzehnt ihres Lebens mit der vagen Hoffnung auf einen Raumflug vertan hätte.
Sie mußte endlich erwachsen werden.
Eine Sirenenstimme wie Romero hatte ihr nun gerade noch
gefehlt.
Doch sein Redefluß hielt an. »Von den Geologen bist du am weitesten gekommen, Natalie. Du warst überhaupt die einzige Frau in der Endausscheidung. Mein Gott, wissen diese Kerle in Houston
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