Mission Arktis
Eis geschnitten, darüber Regale aus Eisplatten, bedeckt mit einer Auswahl von Instrumenten aus rostfreiem Stahl: grobe Zentrifugen, Messpipetten, Messzylinder. In die Regale an der hinteren Wand, die von einer Reihe nackter Glühbirnen beleuchtet wurden, waren Löcher gebohrt. In jedem davon steckte eine Glasspritze mit hochstehendem Kolben. Das Eis war transparent, sodass man die bernsteinfarbene Flüssigkeit sehen konnte, mit der die Spritzen gefüllt waren. Es waren bestimmt weit über fünfzig Stück.
Matt blickte um sich, als er in das Eislabor trat. Wer hier gearbeitet hatte, musste schrecklich gefroren haben.
Auch der Junge kam herein, immer noch am Daumen lutschend. Seine Augen wurden groß. Er sah sich um, dann wieder zu dem russischen Admiral.
Matt verstand seine Verwirrung.
»Papa«, sagte der Junge auf Inuktitut und wiederholte das Wort auf Russisch.
Auf dem Boden saß eine zusammengesunkene Gestalt, mit ausgestreckten Beinen und schlaff herunterhängendem Kopf. Selbst durch den Frost, der auf seinen Zügen lag, war der Mann zweifelsfrei zu erkennen. Das schneeweiße Haar ließ keinen Irrtum zu.
Ein hörbares Keuchen von Petkow bestätigte die Identität des Mannes. Er schob sich an den anderen vorbei, fiel vor der Gestalt auf die Knie und streckte die Arme aus.
Das Gesicht des älteren Petkow war bläulich verfärbt, die Kleider mit Reif und Frost bedeckt. Ein Ärmel war aufgerollt. Auf dem Boden lag eine zerbrochene Spritze und neben dem Einstich auf der Innenseite des Arms verlief eine kleine Blutspur.
Matt ging zu der Wand mit den Spritzen und zog eine davon heraus. Die Flüssigkeit war nicht gefroren, offensichtlich unempfindlich für Temperaturen unter null Grad. Nachdenklich blickte er auf die Gestalt am Boden hinunter. »Er hat sich selbst eine Dosis verabreicht«, murmelte er.
Petkow blickte zwischen dem Jungen und seinem Vater hin und her. Schließlich sah er Matt an. Sein Gesicht verriet, was er dachte. Könnte mein Vater auch noch am Leben sein wie der kleine Junge?
Auf dem Tisch unter den Regalen entdeckte Matt ein Heft, von der gleichen Art wie all die anderen. Er schlug den brüchigen Einband zurück und sah, dass die Seiten Zeile um Zeile mit InuktitutSchrift bedeckt waren – bis die Aufzeichnungen irgendwann aufhörten. Da Jenny und ihr Vater ihm die Sprache beigebracht hatten, konnte Matt die Symbole entziffern, aber sie ergaben keinen Sinn. Während er aus ihnen schlau zu werden versuchte, murmelte er die Worte vor sich hin.
Petkow blickte zu ihm hoch. »Sie sprechen Russisch?«
Matt runzelte die Stirn und deutete auf das Buch. »Ich lese nur, was hier geschrieben steht.«
Ohne sich von der Seite seines Vaters zu erheben, ließ Petkow sich das Buch geben. Er blätterte das Heft durch, das offensichtlich das letzte der Reihe war, und reichte es Matt wieder zurück. »Lesen Sie es …« Seine Stimme versagte. »Bitte!«
Maki ging zu dem Admiral und schmiegte sich an ihn, müde und anlehnungsbedürftig. Petkow legte den Arm um ihn.
Mit zwei auf ihn gerichteten Pistolen konnte Matt die Bitte kaum abschlagen. Außerdem war er selbst neugierig. Also las er und Petkow übersetzte. Hier und da hielt der Admiral inne, um eine Frage zu stellen oder Matt zu bitten, einen Abschnitt zu wiederholen.
Langsam, aber sicher kam die Wahrheit ans Licht.
Das Heft enthielt das Testament von Wladimir Petkow. Anscheinend war in Viktors Vater während des Jahrzehnts, das er hier verbracht hatte, ein Gewissen erwacht. Verantwortlich dafür war in erster Linie der kleine Junge, Maki. Das Kind war hier geboren und zur Waise geworden, als seine Eltern während der Tests starben. Wladimir, der seinen eigenen, in Russland zurückgebliebenen Sohn vermisste, entwickelte eine Zuneigung zu dem Jungen, was für einen Forscher natürlich ein Fehler war. Gib deinen Versuchstieren niemals einen Namen! Durch diesen Fehler hatte Wladimir seine professionelle Distanz verloren und völlig unbeabsichtigt seine Menschlichkeit wiedergefunden.
Dies geschah ungefähr zur selben Zeit, als er auch das Rätsel löste, wie man die GrendelHormone aktivieren konnte. Das Hormon musste von lebenden Exemplaren stammen. Wenn man es von toten oder eingefrorenen Tieren entnahm, war es inaktiv. Außerdem musste das Hormon, nachdem es mit einer Spritze direkt von einem lebenden Grendel entnommen worden war, sorgfältig behandelt und auf einer konstanten Temperatur gehalten werden.
Auf der Temperatur der Eishöhlen.
Matt sah sich in dem
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