Mission Arktis
wissen. »Samstag, 1. Oktober im Jahr des Herrn 1881.« Jenny und Craig übersetzten ein Stück eines Tagebucheintrags. »Welch ein Segen wurde uns zuteil! Unsere Gebete sind erhört worden. Nach einer Nacht der Stürme, die wir zusammengekauert unter einer Plane verbrachten und unser Boot stündlich ausschöpften, dämmerte der Tag ruhig und hell herauf. Am Horizont entdeckten wir eine Insel. Kein Land. So freundlich ist Gott den Seefahrern nicht gesinnt. Es war ein Eisberg, durchsetzt von Höhlen, aber fest genug, um eine Weile den Stürmen und dem Wasser den Rücken zu kehren. Dort suchten wir uns, so gut es eben ging, einen Unterschlupf und entdeckten die Kadaver von seltsamen Meerestieren, die sich im Eis gut erhalten hatten. Da wir halb verhungert waren, konnten wir nicht wählerisch sein, und tatsächlich war das Fleisch ausgesprochen schmackhaft. Es schmeckte süß. Gott sei gepriesen!«
Jenny sah sich im Raum um. Jeder in der Kaserne wusste, was für »Tiere« auf dem einsamen Eisberg entdeckt worden waren. Grendel. Selbst die Beobachtung, dass das Fleisch bemerkenswert süß war, war konsistent mit Dr. Ogdens Vergleich zwischen der Physiologie der Grendel und der des arktischen Waldfrosches. Wie bei den Fröschen war auch in den Zellen der Grendel Glukose oder Zucker eingelagert, der als Kryoprotektor fungierte. Aber Amanda sagte nichts dazu, während Jenny und Craig fortfuhren:
»2. Oktober … jetzt sind wir nur noch zu dritt. Ich weiß nicht, welchen Frevel wir uns der See gegenüber haben zuschulden kommen lassen, aber sie hat ihn uns hundertfach zurückgezahlt. In der Nacht sind die Toten erwacht und haben unsere Gruppe im Schlaf angegriffen. Die Kreaturen, die unsere Mahlzeit gewesen waren, haben in dieser Nacht den Spieß umgedreht. Nur wir drei haben es geschafft, mit dem Rettungsboot zu fliehen. Und wir wurden trotzdem gejagt. Nur ein glücklicher Harpunenstoß half uns. Wir schleppten das erlegte Tier hinter unserem Boot her, bis wir ganz sicher waren, dass es tot war, und nahmen dann seinen Kopf als Trophäe mit. Ein Beweis für Gottes Zorn, den wir der Welt zeigen können.«
Diese letzte Entscheidung erwies sich als nicht sehr klug. Nach drei weiteren Tagen auf See waren die Überlebenden in einem Dorf an der sibirischen Küste an Land gegangen, mitsamt ihrer Trophäe und ihrer Geschichte. Doch die Dorfbewohner waren abergläubisch. Sie fürchteten, wenn man den Kopf des Monsters ins Dorf brächte, würde das noch mehr von den Bestien anziehen. Die verbliebenen Seeleute wurden erschlagen und der Kopf des Ungetüms vom Dorfpriester gesegnet und unter der Kirche begraben, um ihn von Sünden zu reinigen.
Erst drei Jahrzehnte später erreichte die Geschichte einen Historiker und Naturkundler. Er folgte der Geschichte zurück zu ihrer Quelle, grub den Kopf des Ungetüms aus und kehrte damit nach Sankt Petersburg zurück. Er wurde in die größte Bibliothek der Arktisforschung gebracht: das Arktische und Antarktische Forschungsinstitut. Von dort wurde die Suche nach der berüchtigten Eisinsel eingeleitet. Aber selbst mit Hilfe der Karten der erschlagenen Seeleute dauerte es weitere zwei Jahrzehnte, bis der Eisberg wieder entdeckt wurde – jetzt im Packeis eingefroren und eingegliedert. Doch die Suche hatte sich gelohnt.
Die Geschichten der Seeleute erwiesen sich als wahr. Die Grendel wurden wiedergefunden.
Bei diesem Teil der Geschichte wurde Craig ungeduldig, ließ Jenny mit dem Vorlesen aufhören und zu den letzten beiden Büchern springen, den Forschungsnotizen von Wladimir Petkow, dem Vater des Admirals, der Omega und die Eisstation angegriffen hatte.
»Das ist es, was wir wirklich wissen müssen«, erklärte Craig.
Als die Übersetzungen von neuem begannen, betrat der Anführer der Delta Force – der seinen Namen immer nur als Delta One angab – die Kaserne durch die Doppeltür, flankiert von zweien seiner Männer.
Er marschierte gleich zu Craig. Amanda las seine Lippen, während er berichtete. »Der Vogel ist bereit, auf Ihr Wort loszufliegen. Wir brauchen nur grünes Licht von Ihnen, um zur Eisstation Grendel vorzurücken.«
Craig hob die Hand. »Noch nicht. Erst wenn ich sicher bin, dass wir alles haben, was wir brauchen.«
Da die Zeit knapp war, überflogen sie die nächsten Abschnitte nur, um zu sehen, ob sie die letzten Forschungsergebnisse enthielten. Aber es wurde schnell klar, dass Dr. Wladimir Petkow kein Dummkopf war. Selbst in dem kodierten Text hatte der Forscher längst
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