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Mission Arktis

Titel: Mission Arktis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Rollins
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Packeisrücken waren Skulpturen der Kraft.
    Sie trat in die Pedale und fuhr mit einer durch jahrzehntelange Übung gewonnenen Expertise einen Bogen um eine dieser Eisformationen. Amanda stammte von einer langen Reihe von Seeleuten und Schiffsbauern ab und war hier also ganz in ihrem Element. Allerdings war sie weit entfernt von dem Familienunternehmen in Port Richardson, südlich von San Francisco.
    Mit der Hilfe ihres Bruders hatte sie sich das Eisboot gebaut, mit dem sie jetzt unterwegs war. Sein fast fünf Meter langer Rumpf war aus handverlesenem Holz der SitkaFichte, die Kufen aus einer Titanlegierung. Auf dem Lake Ottachi in Kanada hatte sie eine Geschwindigkeit von knapp hundert Stundenkilometern gemessen, aber die Strecke war auf dreihundert Meter beschränkt gewesen.
    Jetzt starrte sie in die endlose Weite und lächelte. Eines Tages …
Aber jetzt machte sie es sich auf ihrem Sitz bequem und genoss die Zeit, die sie allein und außerhalb der engen, feuchten Driftstation verbringen konnte. Über ihr schien hell die Sonne und die Tagestemperaturen lagen immer noch deutlich unter null. Obwohl der Wind ihr unablässig ins Gesicht blies, bemerkte sie die Kälte nicht. Sie trug einen eng anliegenden Tauchertrockenanzug mit Kapuze, wie ihn auch die Taucher in den arktischen Gewässern benutzten. Ihr Gesicht war von einer maßgefertigten Propylenmaske bedeckt, die Augenöffnungen mit einer geschliffenen Sonnenbrille geschützt. Nur beim Einatmen wurde sie an die arktischen Temperaturen erinnert, und selbst dies hätte sie vermeiden können, indem sie durch einen batteriebetriebenen Lufterwärmer atmete, der an ihrem Anzug befestigt war. Doch momentan zog sie es vor, die kalte Luft zu spüren.
Und die ganze Erfahrung zu genießen.
Hier draußen war ihre Behinderung unerheblich. Sie musste den Wind und das Zischen der Kufen nicht hören, denn sie spürte die Vibrationen durch das Holz, fühlte den Druck des Windes, sah den Tanz des Schnees über der Eisoberfläche. Hier draußen sang die Welt ihr Lied für sie.
Sie konnte den Autounfall beinahe vergessen. Ein betrunkener Fahrer … ein Schädelbasisbruch … auf einmal war die Welt still und leer. Seither hatte sie gegen Mitleid gekämpft, sowohl von anderen als auch von sich selbst. Aber es war schwer. Inzwischen war der Unfall schon zehn Jahre her, und sie verlor allmählich die Fähigkeit, klar zu sprechen. Sie erkannte die Verwirrung in den Augen der anderen und immer öfter musste sie ihre Sätze wiederholen oder zur Zeichensprache Zuflucht nehmen. Ihre Frustration hatte sie in ihre Studien und Forschungsziele kanalisiert. Ein Teil in ihr wusste, dass sie sich dabei auch isolierte. Aber wo lag die Grenze zwischen Isolation und Unabhängigkeit?
Nach dem Tod ihrer Mutter hatte ihr Vater sie umsorgt und kaum aus den Augen gelassen. Sie vermutete, dass ihre Taubheit der Grund dafür war und dass er fürchtete, sie zu verlieren. Mit der Zeit wurde seine Fürsorge erdrückend. Bei ihrem Kampf um Freiheit ging es nicht so sehr darum, zu beweisen, dass sie als gehörlose Frau in der normalen Welt leben konnte, sondern schlicht darum, dass sie ihre Unabhängigkeit bewahren wollte. Punkt.
Dann war Greg … Captain Perry … in ihr Leben getreten. Sein Lächeln, die Tatsache, dass er sie ganz offensichtlich nicht bemitleidete, seine ungeschickten Flirtversuche – all das hatte ihren Widerstand schließlich gebrochen. Jetzt standen sie an der Schwelle zu einer tieferen Beziehung, und sie war nicht sicher, was sie davon halten sollte. Ihre Mutter war mit einem Captain verheiratet gewesen. Das war keine Welt, die von Isolation oder Unabhängigkeit bestimmt wurde, das wusste sie. Es war eine Welt der Partys, der förmlichen Dinner, der wöchentlichen sozialen Verpflichtungen mit anderen NavyEhefrauen. Aber wollte sie so ein Leben? Sie schüttelte den Kopf und schob den Gedanken erst einmal beiseite. Schließlich war es nicht notwendig, diese Entscheidung ausgerechnet jetzt zu treffen. Wer konnte schon wissen, wie sich alles weiterentwickeln würde?
Die Stirn gerunzelt, bewegte sie die Pedale so, dass das Boot sich sanft in die Kurve legte, auf ihr noch etwa drei Kilometer entferntes Ziel zu – die russische Eisstation. Früher heute Morgen hatte der Chef des Biologenteams, Dr. Henry Ogden, sie angefunkt, weil angeblich eine Entdeckung in der Station zu einem unerfreulichen Zusammenstoß mit dem Geologenteam geführt hatte. Ogden hatte darauf bestanden, dass sie eigens

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