Mission Arktis
herkam, um die Sache zu bereinigen.
Als Chefin von Omega wurde Amanda oft gerufen, um bei Disputen zwischen Vertretern der einzelnen Fachbereiche den Schiedsrichter zu spielen. Manchmal kam es ihr vor, als müsste sie sich mit einem Haufen verwöhnter Kinder herumschlagen.
Obwohl sie nicht gezwungen war, sich auf diese Weise die Zeit stehlen zu lassen, ließ sie es gern zu, bot der Anlass doch eine willkommene Gelegenheit, der Driftstation einen Tag zu entgehen. Deshalb war sie gleich nach dem Lunch aufgebrochen.
Vor sich sah sie die roten Fahnen auf den Gipfeln eines gigantischen Systems von Packeisrücken, die sich meilenweit in alle Richtungen erstreckten. Die Flaggen wehten im Wind und markierten die Öffnung, die in die Eisbasis hinunterführte. Im Schutz der Eishügel parkten vier SkiDoos und zwei größere Sno-Cats, alle rot lackiert. Hinter den Fahrzeugen durchschnitt eine Narbe das ebenmäßige Terrain, dort, wo die Navy ein Loch in die Eisdecke gesprengt hatte, damit die Polar Sentinel auftauchen konnte.
Als sie noch zu der Öffnung hinüberstarrte, durch die man zu der russischen Basis hinuntergelangte, überkam sie plötzlich eine böse Vorahnung. Aus dem Eingang des Eistunnels drangen Dampfschwaden wie aus dem Maul eines schlafenden Drachen. Erst letzte Woche war es den neuen Bewohnern der Station gelungen, die alten Generatoren wieder flottzumachen. Zweiundfünfzig Stück, allesamt gut erhalten. Überraschenderweise funktionierten Licht und Heizung. Angeblich war die Temperatur in der gut isolierten Station sogar recht mild.
Aber Amanda erinnerte sich an ihren ersten Besuch in dem eisigen Grab dort unten. Mit Metalldetektoren und tragbaren Sonargeräten hatten sie den Haupteingang aufgespürt und sich mit Schmelzgranaten und Sprengstoff einen Gang zu den Toren der Basis gebahnt. Der Eingang war sowohl mit einer Eisschicht als auch mit einem dicken Stahlriegel gesichert. Sie hatten einen Schneidbrenner einsetzen müssen, um in die tote Station eindringen zu können.
Jetzt fragte sich Amanda, ob sich die ganze Mühe überhaupt gelohnt hatte. Sie holte ihr Segel ein und begann zu bremsen, während sie sich der Bergkette aus Presseis näherte. In einem geschützten Tal zwischen zwei Eisgipfeln war eine provisorische Leichenhalle errichtet worden. Die orangefarbenen Sturmzelte verbargen die gefrorenen Leichen. Ihrem Vater zufolge war bereits eine russische Delegation von Moskau unterwegs, um die verlorenen Kameraden zurückzuholen. Sie würden nächste Woche eintreffen.
Noch immer redete niemand von dem, was sie dort unten sonst noch gefunden hatten.
Gekonnt lenkte sie ihr Eisboot um die Kurve und brachte es auf dem provisorischen Parkplatz zum Stehen.
Niemand war da, um sie zu begrüßen.
Sie sah sich um und suchte mit den Augen die umliegenden Presseisrücken ab. Sie lagen im Schatten. Das Terrain hinter ihnen war ein Labyrinth von Eisbrücken, Überhängen, Spalten und Spitzen. Wieder erinnerte sich Amanda an die seltsame Bewegung, die das DeepEyeSonar registriert hatte. Vielleicht war es ja tatsächlich nur ein Trugbild gewesen, aber die Möglichkeit, dass es vielleicht auch irgendein Raubtier, beispielsweise ein Eisbär, gewesen sein könnte, machte sie nervös. Sie starrte wieder auf das unpassierbare Gelände jenseits des Stationseingangs und schauderte.
Rasch holte sie die Segel ein, verstaute sie und schlug mit einem Hammer einen Anker in den Schnee. Als alles so weit gesichert war, schnappte sie sich ihre Tasche aus dem Boot und machte sich auf den Weg zu dem nebligen Tunneleingang.
Die Öffnung sah aus wie bei jeder anderen Eishöhle im polaren Gletschereis. Seit Amanda das letzte Mal hier gewesen war, hatte man sie erweitert, sodass sie jetzt groß genug war, um einen Geländewagen durchzulassen. Amanda kletterte die ins Eis gehauenen Stufen hinunter zu der Stahltür, die schief in den Angeln hing, nachdem man sie gewaltsam geöffnet hatte. Hier, wo die warme Luft aus der Station hinaus in die Kälte stieg, wurde der Nebel dichter. Über dem Eingang hing das Schild, das Captain Perry beschrieben hatte. Wahrscheinlich hatte man es bei der Erweiterung des Tunneleingangs entdeckt.
Sie betrachtete es aufmerksam. Fette kyrillische Buchstaben zogen sich über die festgenietete Platte und verkündeten den Namen der Einrichtung:
ЛЕДОВАЯ СТАНЦИЯ ГРЕНДЕЛ
Eisstation Grendel.
Wie waren die Russen auf diesen seltsamen Namen gekommen? Amanda war literarisch immerhin so bewandert, dass
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