Mission auf Leben und Tod: Roman (German Edition)
immer – Angst vor ihrem Mann.
Sie kannte seine Freunde. Sie wusste, wie sehr er auf die beiden Gauner Marcel und Raymond baute. Sie traute ihm nicht nur zu, dass er jemanden umbrachte, sie war überzeugt, dass er
bereits jemanden umgebracht hatte und nicht zögern würde, auch sie aus dem Weg zu räumen, falls es ihm notwendig erscheinen sollte.
Sie befand sich in einem Dilemma. Floh sie, würde er sie aufspüren und eliminieren lassen, weil sie für ihn eine Gefahr darstellte. Niemand würde wissen, was aus ihr geworden war. Einer dritten Ehefrau brachte man gemeinhin nicht viel Mitgefühl entgegen. Blieb sie, befand sie sich in einer anderen Art von Hölle: in einer Welt ständiger Demütigungen und sexueller Forderungen, einer Welt der Angst und des immer gegenwärtigen Wissens, dass ihr Mann gerade mit einer anderen im Bett lag. Sie liebte ihn schon lange nicht mehr, er war ihr gleichgültig. Aber sie hatte ihren Stolz, sie betrachtete sich nicht als wertlos, als Sexobjekt für ihren grausamen und höhnischen Ehemann. Sie hatte ihre Würde, sie hatte ihren Verstand. Sie setzte sich auf den Badezimmerhocker und weinte aus purer Hilflosigkeit.
Sie war eine Gefangene in diesem wunderbaren Haus in der französischen Provinz, Gefangene eines wahrhaft bösen Menschen, und es gab nichts, was sie dagegen hätte tun können. Sicher, ihr Leben war alles andere als tadellos verlaufen, aber sie war ihm eine gute Frau gewesen; doch jetzt wünschte sie sich nur noch, dass ihr Mann sterben möge.
Selbst die Aussicht, eine Marie Antoinette des 21. Jahrhunderts zu werden, die sich im Élysée-Palast mithilfe des französischen Steuerzahlers jeden erdenklichen Luxus leisten konnte, tröstete sie nicht. Eher fühlte sie sich wie die Marie Antoinette, die sich, gefangen in ihrer winzigen Zelle in der Conciergerie, am 16. Oktober 1793 auf die Guillotine vorbereitete.
Sie hörte, wie ihr Mann das Haus verließ, und überlegte, ob sie ihm folgen sollte, um Beweise für eine mögliche Scheidung aufgrund seiner fortgesetzten Untreue zu sammeln. Aber wozu? Damit sie ebenso endete wie Olivier Marchant, wo immer er jetzt sein mochte?
Mack Bedford beschloss, zur Werft zu gehen, um noch einmal mit Harry zu reden, bevor sie eine Entscheidung trafen. Er ging durch die Kleinstadt und plauderte hier und dort mit den Einheimischen, die er sein Leben lang gekannt hatte. Als er jedoch das große Eisentor der Werft erreichte, stieß er auf eine Menschenmenge, in deren Mitte der Werftbesitzer stand.
Mack schob sich durch die etwa 100 Werftarbeiter und stellte sich neben Harry, der ihm so laut, dass es alle hören konnten, sagte: »Hallo, Mack, du triffst mich hier am vielleicht schlimmsten Tag in meinem Leben. Ich habe gerade meine wichtigsten Stahlarbeiter entlassen. Es gibt keine Arbeit mehr für sie, und ich bezweifle, ob sich das jemals wieder ändern wird.«
Judd Powell, der ebenfalls neben Harry stand, ergriff das Wort: »Jungs, ihr wisst, der Boss hätte euch nie entlassen, wenn es irgendeine Aussicht auf Arbeit gäbe. Aber überall in der westlichen Welt werden die Militärausgaben reduziert. Überall mit Ausnahme von Russland und dem Nahen Osten werden weniger Schiffe gebaut. Das kann sich wieder ändern, aber bis dahin können gut und gern fünf Jahre vergehen. Und Mr. Remson kann bis dahin kaum Lohnausgaben von jährlich 50 Millionen Dollar finanzieren.«
»Was sollen wir denn machen, Judd?« – »Wir haben Frauen, Familien, Hypotheken … was jetzt?« – »Das ist alles, was wir haben … und auch in Bath ist seit zwei Jahren keiner mehr eingestellt worden.« – »Hier ist sonst nichts … Willst du uns sagen, dass wir von hier wegziehen sollen?« – »Was ist mit unseren Kindern, der Schule?«
Die Fragen prasselten auf Harry Remson und seinen Vorarbeiter ein. Es herrschte Trauer unter den Versammelten, fast so, als wäre jemand gestorben. Es waren hart arbeitende Männer, Männer, die hierherkamen, um am kältesten Morgen um sieben Uhr früh den Stahl zu schneiden; die hoch oben auf dem Rumpf der Kriegsschiffe die kalten Stahlteile einpassten; Männer, auf
denen das weltweite Ansehen der Remson-Werft beruhte. Männer mit breiten Schultern, enormer Kraft und einer Arbeitsethik, die New Yorker Hafenarbeiter hätte erbleichen lassen.
Insgeheim verstanden sie, dass Harry Remson und seine Familie sie nicht unbegrenzt unterstützen konnten, wenn es keine Arbeit gab. Dennoch wurden sie das Gefühl nicht los, dass man
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