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Mission Herodes - Die vier Reiche (German Edition)

Mission Herodes - Die vier Reiche (German Edition)

Titel: Mission Herodes - Die vier Reiche (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick R.Ullrich
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abgewandt an einem einfachen Holztisch, auf dem die einzige Lichtquelle des kleinen Zimmers stand; eine kleine Öllampe, die nur mäßige Helligkeit verbreitete. Sie ließ ihren Blick durch den Raum wandern. Ein einfaches Lager aus aufgeschüttetem Stroh, mit Leinen bedeckt, nackte, getünchte Wände, ein Fenster, dessen Läden geschlossen waren und ein dreibeiniger Holzschemel, der, zusammen mit dem Stuhl, auf dem der Graue saß, die einzige Sitzgelegenheit war. Nichts, was etwas über seinen Bewohner erzählen könnte. Es war das kärgste Zimmer des Hauses, welches ihnen seit ihrer Ankunft vor fast zehn Tagen als Unterschlupf diente und er hatte es schon bewohnt, bevor die anderen eintrafen. Ein Zimmer war leer geblieben, denn der Fallensteller war nicht erschienen. Sie hatten einen Tag auf ihn gewartet und ihn dann abgeschrieben. Er war der unwichtigste unter den Schläfern, denn Magier fängt man nicht mit Fallen. Zumindest nicht mit solchen, die ein Barthelmess herzustellen in der Lage gewesen wäre. Und dieser hier war ein besonderer Magier. Auch sie hatte ihn unterschätzt.
    »Großer Gott, Anoush. Erzähl schon!« Noch immer vermied er es, sie anzusehen. Sie ließ sich Zeit, war sie sich doch selbst noch nicht im Klaren. Geschehen war geschehen. Wieder lächelte sie. Da war es wieder: Wenn er aufgeregt war, nannte er Araas nicht beim Namen. Niemand aber rief den Wanderer einfach Gott! Meinte er den Weltenschöpfer selbst? In jedem Fall war es ungewöhnlich genug, um ihre Neugier zu wecken und die Neugier Anoushs war von besonders starker Art. Gerade jetzt gab sie ihr sehr gerne nach, denn das half ihr bei der Verdrängung einer tief sitzenden Angst. Ihre Neugierde zu befriedigen verschaffte ihr eine Erleichterung, wie sie sie sonst nur beim Liebesspiel empfand. Vielleicht sogar mehr als das und so unternahm sie erneut den Versuch, ihm sein Geheimnis zu entreißen, denn sie konnte nicht anders. Zu siegen war ihre größte Lust. Und ihn zu besiegen …
    Längst schon hatte er ihr vergeben, konnte ihr nicht widerstehen, war im Grunde auch nur ein Mann wie jeder andere – und doch umgab ihn etwas Geheimnisvolles, wirkte er auf eine schwer zu fassende Art fremd und distanziert. Wenn sie sein Zimmer ohne anzuklopfen betrat – ein Recht, dass sie sich einfach herausnahm und das unwidersprochen geblieben war – überraschte sie ihn gelegentlich beim Schreiben in einer ihr unbekannten Schrift. So war es auch an diesem Abend, aber Anoush war keine Gelehrte, klug ohne jeden Zweifel, aber nicht wirklich gebildet; und so hatte sie diesen Umstand bisher nicht weiter hinterfragt.
    Statt seiner ungeduldigen Aufforderung zu folgen, sagte sie im Plauderton: »Du schreibst wieder?« Sie war hinter ihn getreten, streichelte sein Haar und sah auf die unverständlichen Zeichen, die da in sauberen Linien entstanden. Bei der ersten Berührung zuckte er leicht zusammen, fast unmerklich, und natürlich entging dies ihrer Aufmerksamkeit nicht.
    »Was ist es? Es sieht hübsch aus.« Sie war nach vorn und auf seinen Schoß geglitten, griff nach dem Papier und sah ihn fragend an.
    »Nur eine Fingerübung. Es beruhigt mich und hilft mir, nachzudenken.«
    Plötzlich hellte sich ihr forschender Ausdruck auf. »Ist es ein Gedicht? Ist es gar ein Liebesgedicht?« »Das ist es tatsächlich!«, lachte er etwas verlegen und zog sie an sich. »Du bist unglaublich. Eine echte Verhörmeisterin.« »Du musst es mir vorlesen«, drängte sie. »Muss ich das?« Anoush zog es vor, ihn zu küssen, ausdauernd und verlangend, bis er spüren konnte, wie sein Rückgrat schmolz. Dann löste sie ihre Lippen langsam von seinen und strahlte ihn siegessicher an. »Na?« »Gibst du dann Ruhe und erzählst mir endlich, weshalb du gekommen bist?« »Ja, Gebieter«, sagte sie, sah ihn hündisch an und brachte ihn damit zum Lachen. »Dann geh runter von mir. Ich muss ans Licht.« Aber Anoush hatte bereits die Lampe herangezogen, sah ihn mit erhobenen Brauen auffordernd an und traf keinerlei Anstalten, ihre Position zu verändern. Wie gut es war, sich wieder mit etwas zu beschäftigen, das sie beherrschte, dachte sie, begrüßte das Gefühl, wieder Herr ihrer Sinne zu sein und merkte, wie sich der kalte Klumpen Angst löste. »Los, du. Lies schon!« Kopfschüttelnd begann er:

    »Ich denke dein,
    wenn mir der Sonne Schimmer vom Meere strahlt;
    Ich denke dein,
    wenn sich des Mondes Flimmer in Quellen malt.
    Ich sehe dich,
    wenn auf dem fernen Wege der Staub sich

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