Mission Herodes - Die vier Reiche (German Edition)
hebt;
In tiefer Nacht,
wenn auf dem schmalen Stege der Wandrer bebt.
Ich höre dich,
wenn dort mit dumpfem Rauschen die Welle steigt.
Im stillen Hain geh ich oft lauschen,
wenn alles schweigt.
Ich bin bei dir,
du seist auch noch so ferne,
du bist mir nah!
Die Sonne sinkt,
bald leuchten mir die Sterne –
O wärst du da! «
Herzschläge lang sagte keiner der beiden etwas. Er aus Unsicherheit, sie, weil sie wirklich ergriffen war. »Es ist wunderschön. Ist es von dir?« »Nein«, antwortete er lachend, »ich bin schon froh, dass ich es noch niederschreiben konnte.« »Aber es ist für mich?«, fragte sie halbernst. »Hättest du gerne«, scherzte er zurück. »Von wem ist es?«, fragte sie. »Ein Dichter meiner Heimat. Er ist schon lange tot und du kennst ihn nicht«, winkte er ab und räusperte sich kurz. »Erzähl mir nun, was geschehen ist.« »Wie hieß er? Vielleicht kenne ich ihn ja doch.« Wieder lachte er und sie schlug nach ihm. »Lach mich nicht aus, du! Das macht mich böse. Du wirst mich nicht mögen, wenn ich böse bin. Hältst du mich für zu dumm für deinen Dichter?« Mit beiden Händen hielt er ihr Gesicht und zwang sie sanft zum Kuss. »Du bist wunderbar und ich lache dich nicht aus. Ganz im Gegenteil, halte ich dich für eine äußerst Schlaue. Die raffinierteste Anoush, die ich kenne!« Seine Arme hatten sie nun besitzergreifend umschlossen, aber sie war nicht bereit.
»Warte.«
»Nein.«
»Nur einen Moment.«
»Später!«
»So warte doch!«
»Nein. Keinen Augenblick mehr.«
»Brim mag auch Gedichte!«
Sofort ließ er sie los. Kaltes Wasser hätte kaum ernüchternder sein können. Völlig ungerührt sprach sie weiter:
»Ich erzähle ihm manchmal Kinderreime. Er hat Freude daran. Unter anderem.« Mit einer seltsamen Lust beobachtete sie, wie der Ausdruck in seinem Gesicht von Überraschung zu Unverständnis wechselte und schließlich zu Ablehnung. Ihn auf diese Art zu verletzen, bereitete ihr ein süßes Gefühl der Macht, auch wenn es von Angst durchsetzt war, aber vielleicht lag in dieser Mischung der Reiz. Sie sah, wie er den Mund öffnen wollte, beeilte sich jedoch, ihm zuvor zu kommen.
»Sag mir den Namen! Und den deinen! Nenn mir beide und du bekommst, was du willst.«
»Eine Machtprobe? Ist es das, um was es hier geht? Deinen Willen durchzusetzen?«
»Deinen Namen! Es ist nur anständig, schließlich weißt du den meinen.« »Du bist ein Rätsel, Frau«, sagte er kopfschüttelnd.
Unvermittelt beugte sie sich vor und er versuchte, sie erneut zu küssen. Sie aber biss zu. Kurz und fest, und sie saugte an seiner blutigen Lippe. Ohne sie loszulassen, zischte sie, zwischen den Zähnen hindurch, eindringlich: »Deinen Namen. Bitte!«
Er begann Gefallen an diesem Spiel zu finden, sein Zorn über die Kränkung war schon wieder im Abflauen begriffen. Überhaupt fiel es ihm schwer, ihr lange böse zu sein. »Wie nennt ihr mich denn, wenn ihr über mich sprecht, denn gewiss tut ihr das ?«, fragte er, seiner schmerzenden Lippe wegen undeutlich. Perlendes Lachen erklang und sie gab ihn frei. Ihr kurzes Unbehagen, das er mit seiner Frage auslöste, bemerkte er nicht. Dann spürte er, wie sie in sein kurz geschnittenes Haar blies. »Wo denkst du hin? Natürlich sprechen wir über dich. Ständig. Wir nennen dich den Grauen. Klingt das nicht grauenvoll?«, flüsterte sie, amüsiert sowohl über ihn als auch sich selbst. Auch er lachte kurz auf. »Der Graue. Gar nicht übel. Es gibt schlechtere Namen und ich denke, dieser taugt.« »Und ich? Soll ich dich etwa auch den Grauen nennen?« Sie hatte die Augen verengt, nur ein schmaler Schlitz des irisierenden Grüns war noch zu sehen. Gemildert wurde dieses bedrohliche Minenspiel durch ihren Schmollmund.
Er mochte sie, auch wenn er sich eingestand, dass es eine Schwäche war und daher gefährlich. Ganz abgesehen davon, dass der bloße Umgang mit einer Frau wie ihr schon Gefahr genug barg. Trotzdem schadete es nach seiner Auffassung nicht, ihrer Eitelkeit etwas zu schmeicheln. Ein kleiner Sieg mochte sie zu noch größerer Leistung bringen. »Wo ich herkomme, nennt man mich Dietrich«, sagte er. Sie ließ ein Seufzen hören. »Dietrich.« Mehrmals und mit unterschiedlichen Betonungen sprach sie seinen Namen aus und es berührte ihn. »Dieetrich, Dietriich«, sang sie leise vor sich hin, während ihre geschickten Hände seine Nackenmuskeln zu entspannen begannen. »Er klingt hübsch. Ich habe ihn noch nie gehört. Aus welcher Gegend
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