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Mission Spyflight

Mission Spyflight

Titel: Mission Spyflight Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilkka Remes
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Entfernung des Gewitters auszurechnen, denn ihm war ein Gedanke gekommen. Er hatte nämlich gesehen, dass die Wandbretter direkt in der Erde verschwanden.
    Mit anderen Worten: Der Schuppen hatte kein Fundament.
    Schnell ging Aaro auf alle viere, wischte Schmutz von der Wand und stellte fest, dass die Erde dort nachgab. Sogleich packte ihn energischer Eifer und befreite seine vom Hunger geplagten Gliedmaßen von ihrer Schlaffheit. Adrenalin schoss in seine Adern und er wühlte im Stroh, in der Hoffnung, dort irgendein Werkzeug zu finden. Etwas Scharfes wäre bestimmt nicht zu haben, denn das würden die Russen ihren Opfern kaum in den Kerker werfen.
    Der dritte Blitz flammte auf und ein brutaler Donner schlug Aaro in die Ohren. Das Unwetter walzte heran |209| und war beinahe direkt über ihm. Er roch die Feuchtigkeit im Wind und hörte gleich darauf das gleichmäßige Trommeln auf dem Dach. Bald spürte er auch schon die ersten Tropfen auf der Haut, weil das Dach undicht war. Das Zusammenwirken von Donner, Blitz und peitschendem Sturm machte den pulsierenden Kopfschmerz noch stärker.
    Aaro grub mit den bloßen Händen in der Erde. Die Russen konnten jederzeit nachsehen, ob ihr Gefangener noch da war, wo er sein sollte   – und ihn womöglich endgültig erledigen. Aaro wusste, dass er seinen Entführern das Bild eines unfolgsamen Jungen vermittelt hatte, was unabsehbare Folgen haben konnte, falls ihnen der Geduldsfaden riss. Er hatte ihre Geduld bereits mehr als genug auf die Probe gestellt   – sie wäre vermutlich am Ende, falls sein Fluchtversuch entdeckt würde. Flucht war aber die einzige Chance zu vermeiden, dass man ihn zum Schweigen brachte. Wenn er scheiterte, drohte ihm wahrscheinlich sofort der Tod. Andererseits würde Gehorsam auch nicht viel mehr bringen als ein paar Stunden zusätzliche Zeit.
    Aaros dünne Finger kamen in der Erde nicht weit, auch wenn er es verzweifelt versuchte. Wieder griff er blindlings ins Stroh, aber es steckte nicht mal ein Bretterrest oder ein Stück Ast darin. Schließlich stießen seine Finger aber doch auf etwas Hartes und beinahe Scharfes: auf eine verbeulte Emailtasse ohne Boden. Er sah sich seinen Fund eine Weile an, dann beschloss er, dass es einen Versuch wert war. Immerhin hatte die bodenlose Tasse scharfe |210| Ränder, mit denen sich die festgetretene Erde lockern ließ. Er erinnerte sich an die antike Geschichte von Sisyphos, den die Götter dazu verurteilt hatten, einen Stein auf einen Berg hinaufzurollen   – und jedes Mal, wenn er es geschafft hatte, rollte der Stein wieder den Berg hinab.
    Aaro hatte allerdings nicht vor, sich seine Arbeit zunichtemachen zu lassen. Er legte die rechte Hand als provisorischen Boden auf die Tasse, ging an der Bretterwand auf die Knie und fing an, wie ein Wahnsinniger zu graben. Sein Atem rasselte und sein Blick suchte das Astloch: Er hatte Angst, dunkle Gestalten zu sehen, die durch den Regen zu ihm kämen und das letzte Urteil mitbrächten.
    Der Sturzregen schlug gegen die Schuppenwand, Aaro spürte das Wasser durch die Ritzen spritzen. Er schnappte die vom Regen gereinigte Luft, sog sich die Lunge voll, um den Schmerz, der sich in seinen Schläfen staute, zu vertreiben. Dann hieb er wieder die Tasse in die Erde. Unter der festgetretenen Oberfläche wurde der Boden zum Glück weicher. Nun pfiff der Wind in den Bretterritzen und im Schein der Blitze wuchsen sich die Schatten der rostigen Nägel zu reißenden Fangzähnen aus.

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    Turo Hurme, der sich Niko gegenüber als Kommissar Maula vorgestellt hatte, lehnte sich im Hotel Presidentti an den Empfangsschalter und lächelte die hübsche blonde Rezeptionistin an. Er war es gewohnt, dass bestimmte Frauen seinen muskulösen Körper offen bewunderten, und er tat alles, damit seine trainierten Schultern sich möglichst deutlich unter dem Leinensakko abzeichneten. Er wollte wissen, ob auch diese Frau auf Muskelkraft ansprach.
    Offensichtlich nicht. Sie musterte ihn kühl. »Wie kann ich Ihnen helfen?«
    »Ich bin mit Herrn Lin Hu verabredet. Er müsste hier untergebracht sein.«
    Die Rezeptionistin schaute in den Computer. Als sie den Blick wieder auf Hurme richtete, verweilte er kurz auf der Tätowierung, die unter dem Jackenärmel hervorlugte.
    »Zimmer fünfhundertfünf. Soll ich Sie anmelden?«
    »Ja. Mein Name ist Turo Hurme. Ich kann doch direkt nach oben fahren?«
    »Selbstverständlich.«
    Hurme trat in den Lift, drückte den Knopf und betrachtete |212| sich im

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