Mission Spyflight
stehen zu bleiben und nachzudenken, wie es mit der Flucht, die so vielversprechend begonnen hatte, weitergehen sollte. Der Zaun schien das gesamte Gelände einzufassen, aber irgendwo musste ein Tor sein. Aaro hatte noch nie etwas für Tierparks übriggehabt, denn ihm taten die eingesperrten Tiere leid. Jetzt wusste er, dass er damit recht gehabt hatte.
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Major Sabalin löffelte das Gulasch, das überraschend gut schmeckte. Der GRU kümmerte sich ganz anders um seine Mitarbeiter als viele andere Abteilungen der Armee. Der Regen schlug gegen die Fensterscheiben, aber in der Kantine war es geradezu gemütlich warm und angenehm, auch wenn sie an sich karg möbliert war.
Die Techniker und Ingenieure saßen an ihren jeweils eigenen Tischen, die Offiziere und die Mannschaft saßen ebenfalls separat. Das schien ein ungeschriebener Verhaltenskodex zu sein, gegen den niemand aufbegehren wollte. Das Klappern des Geschirrs, das Stimmengemurmel und das immer wieder ausbrechende Gelächter überlagerten das Trommeln des Regens auf das Dach.
Sabalin beschloss, nach dem Essen seinen Freund Dimitri in Moskau anzurufen. Was ihn betraf, so war die Operation bald beendet, gleich nachdem der Junge nach Finnland zurückgebracht worden war und er seinen Bericht geschrieben hatte. Sabalin hatte Lust auf ein langes Wochenende in Dimitris Jagdhütte im Kaukasus, um dort den Staub des effektiven, aber anstrengenden Finnland-Einsatzes von den Schultern zu schütteln. Und was Dimitri |220| betraf, so würde der sich bestimmt gern ein paar Tage von seiner anstrengende Frau Anna freinehmen.
Aaro versuchte, nicht in die Pfützen zu trampeln, als er am Zaun entlangrannte. Er erreichte bald eine Zone mit kniehohem Gras, wo er sich kurz ducken und ausruhen konnte.
Inzwischen regnete es noch heftiger. Er richtete sich auf und rannte weiter an dem deprimierend hohen Zaun entlang. Früher oder später musste ein Tor kommen.
Schwer keuchend versteckte er sich hinter einigen Büschen und sah vor sich zwei stärkere Zaunpfosten, die dichter beieinanderstanden als die vorigen. Ein Tor!
Er blickte sich im Regen nach allen Seiten um, aber es waren keine Wächter zu sehen. Kein Wunder, denn das Tor war mit Schlössern abgesperrt, die ohne Schlüssel unmöglich aufzubekommen waren. Und das, obwohl es sich nur um eine Art Hintereingang handelte, der, wie man an dem bewachsenen Weg erkennen konnte, nicht regelmäßig benutzt wurde.
Aaro biss die Zähne zusammen und lief weiter. Die schwarzen Umrisse der Gebäude zeichneten sich jedes Mal hinter den Bäumen ab, wenn ein Blitz den Himmel erleuchtete. Nach wenigen Hundert Metern blieb Aaro stehen, weil er den Haupteingang ins Blickfeld bekam. Er hatte jetzt das gesamte Gelände umrundet.
Wie es aussah, kam man nur hinaus, wenn es die Russen erlaubten – oder im Leichensack.
Triefend und keuchend stand Aaro auf der Stelle. Er |221| musste einen Weg finden! Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie seine Flucht entdeckten, und das hätte unweigerlich zur Folge, dass sie ihn schnappten.
Nachdem er kurz nachgedacht hatte, lief er zum Rand des Nadelwalds und sprang wieder von Busch zu Busch. Er kam an seinem Gefängnis vorbei, wo sich der Fluchttunnel mit braunem Wasser gefüllt hatte. Ein paar Laufschritte weiter stand ein zweiter Schuppen, hinter dem ein Traktor geparkt war. Würde der sich als Mauerbrecher gegen den Maschendrahtzaun eignen? Der anspringende Motor würde allerdings mit Sicherheit die Wächter alarmieren; Zeit für falsche Bewegungen hatte er keine.
Flink sprang Aaro hinters Steuer des Traktors, aber der Schlüssel steckte nicht. Kurz leuchteten Erinnerungsbilder aus amerikanischen Filmen auf, in denen Fahrzeuge auch ohne Schlüssel in Betrieb gesetzt wurden – durch Verbinden der Zündkabel. In den Filmen sah das kinderleicht aus, aber jetzt waren nicht einmal Kabel zu sehen. Und Zeit zum Ausprobieren war auch keine, weshalb er sich schnell etwas anderes einfallen lassen musste.
Er sprang vom Traktor und rannte durch den Regen zur nächsten Wellblechhalle. Neben der Halle sah er einen grauen Hubschrauber. Er schnaufte tief durch, um seinen Atem zu beruhigen. Ein kurzer Blick um die Ecke verriet, dass in den Fenstern der Unterkünfte und Büros Licht brannte. Man sah dunkle Gestalten hinter den Scheiben. Aaros Flucht war noch nicht bemerkt worden, aber jeder Moment, der verging, brachte den Zeitpunkt näher, an dem sein Fehlen auffallen würde. Ohne weiter zu zögern, |222|
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