Mission Vendetta: Thriller (German Edition)
einfach nur Lust auf eine kleine Abwechslung hatten, verprügelten sie sie, bis sie fast das Bewusstsein verlor, kurz davor war, die Dunkelheit anzuflehen, sie für immer zu verschlucken. Dann konnte sie sich nur zusammenrollen und warten, dass es aufhörte.
Als sie neu hier war, war es noch viel schlimmer gewesen. Bevor die Wärter gelernt hatten, ihr den wenn auch mürrischen und zögernden Respekt zu erweisen, den sie ihr mittlerweile zollten. In den ersten Monaten hatten sie versucht, sie mit Prügel gefügig zu machen, sie zu unterwerfen und zu brechen. Aber Gefangene 62 hatte nicht so reagiert wie die anderen Insassen. Sie kauerte sich nicht furchtsam zusammen und unterwarf sich auch nicht demütig.
Sie wehrte sich.
Die Wärter hatten häufig selbst Wunden und Prellungen davongetragen. Und mehr als ein unglücklicher Wachtposten musste von seinen Kameraden aus der Zelle getragen werden, stöhnend und blutend. Sie konnte kämpfen wie eine Raubkatze, und wenn es sein musste, schlug sie mit einer Wildheit zu, die selbst die Gefängniswärter verblüffte. Sie weigerte sich, am Boden liegen zu bleiben, und kam immer wieder hoch, so lange, bis sie einfach körperlich außerstande war aufzustehen.
Trotz der wilden Prügel, mit denen sie ihr den Widerstand vergalten, waren es die Wärter irgendwann überdrüssig geworden, ihre eigenen Blessuren pflegen und die Demütigung ertragen zu müssen, dass sie ihnen von einer Frau zugefügt worden waren. Die Schläge hatten aufgehört. Zum Glück, denn zu diesem Zeitpunkt war sie beinahe am Ende ihrer Kräfte angelangt.
Diese Tage gehörten zu den dunkelsten in ihrem Leben, und sie hatte viele dunkle Tage erlebt.
Neunundvierzig, fünfzig.
Mit einem letzten Stoß zog sie die Knie unter ihren Körper und erhob sich vom Boden. Sie ballte die Fäuste und löste sie wieder, um die Blutzirkulation anzuregen. Sie hatte sich die Hände wegen der Eiseskälte mit Lumpen umwickelt, aber das nützte nicht viel. In Khatyrgan war die Kälte allgegenwärtig.
Und sie war ihr wahrer Feind. Nicht die Wärter oder die anderen Gefangenen, sondern die erbarmungslose, gnadenlose Kälte.
Aus diesem Grund trainierte sie jeden Tag mit solch zäher Hartnäckigkeit. Deshalb war es das Erste, was sie tat, wenn sie morgens aufwachte, und das Letzte, bevor sie abends schlafen ging. Die Körperwärme, die diese Übungen erzeugten, hielt die Kälte in Schach, wenigstens für eine Weile.
Außerdem hatte sie nicht viel anderes zu tun. Sie wurde vierundzwanzig Stunden am Tag in Einzelhaft gehalten und sehr sorgfältig von dem Rest der Gefangenen getrennt. Sie wusste, dass es im Gefängnis einen Innenhof für den Freigang gab, aber sie hatte ihn seit dem Tage ihrer Ankunft nicht gesehen. Ebenso wenig wie die Sonne – in ihrer Zelle gab es kein Fenster.
Wie lange war das schon her? Zwei Jahre? Drei?
Sie wusste es nicht. Sie hatte jedes Zeitgefühl verloren.
Es war vielleicht auch besser, nichts zu wissen.
Diese Zelle war jetzt ihre Welt. Zwei Meter lang, zwei Meter fünfzig breit und etwa ebenso hoch. Eine Toilette. Ein Waschbecken. Ein schmales Bett mit einer verschlissenen Matratze und einer Decke an der Wand . Kein Fenster. Kahle Ziegelwände; sie hatte die Zahl de r Ziegelsteine in jeder Wand gezählt. Eine einzelne schwache Glühbirne an der Decke, die ihre Nacht und ihren Tag bestimmte.
Ihre einzige Abwechslung war die zwanzigminütige wöchentliche Dusche, zu der man sie aus der Zelle ließ. Verständlicherweise immer nur in Begleitung von bewaffneten Wärtern.
Es gab keine Möglichkeit zur Flucht. Das wusste sie, weil sie monatelang jeden Tag über dieses Problem nachgedacht hatte – allerdings ohne Erfolg. Sie kam nicht aus ihrer Zelle heraus. Die Tür wurde mit einem einfachen Riegel auf der anderen Seite verschlossen, hatte eine Luke auf Augenhöhe, zur Beobachtung oder um das Essen hereinzureichen. Die Wärter kamen immer mindestens zu dritt zu ihr und zwangen sie, an die Wand zurückzutreten, wenn sie die Tür öffneten.
Die anderen Insassen dieses Gefängnisses hatten vielleicht Gelegenheiten zur Flucht, kurze Augenblicke, in denen sie nicht so streng bewacht wurden. Aber das galt nicht für sie. Wann auch immer sie nicht in diese Zelle gesperrt war, hielt man sie mit Waffen in Schach. Es war hoffnungslos.
Mehr als einmal hatte sie darüber nachgedacht, sich selbst zu töten. Das wäre nicht schwer gewesen. Sie wusste genau, wie man es anstellen musste.
Die einfachste und
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