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Mission Walhalla

Mission Walhalla

Titel: Mission Walhalla Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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am Himmel.
    Schließlich nahm General Lasch Kontakt zum russischen Oberkommando auf und bot gegen die Zusicherung, dass wir gut behandelt werden würden, unsere Kapitulation an. Sie wurde angenommen, und am nächsten Tag legten wir die Waffen nieder. Als Soldat war man noch vergleichsweise gut dran. Aber die Russen vertraten die Ansicht, dass die Zusicherung sich nicht auf die Königsberger Zivilbevölkerung erstreckte, an der sich die russische Armee sodann grausam rächte. Jede Frau wurde vergewaltigt. Alte Männer wurden skrupellos ermordet. Kranke und Verletzte aus Krankenhausfenstern geworfen, um Platz für Russen zu machen. Kurz gesagt, die Rote Armee veranstaltete ein Saufgelage und geriet außer Rand und Band und machte, was sie wollte, mit Zivilisten jeden Alters, ehe sie schließlich alles niederbrannte, was von der Stadt noch übrig war. Wer ihnen entkam, versuchte, sich auf dem Lande irgendwie durchzuschlagen, und die meisten verhungerten. Keiner der Soldaten konnte irgendwas dagegen tun. Wer protestierte, wurde auf der Stelle erschossen. Manche von uns fanden das nur gerecht – dass wir es nicht besser verdient hätten nach allem, was wir ihnen angetan hatten, und das stimmte, aber es ist nun mal schwer, an Gerechtigkeit zu glauben, wenn man eine gekreuzigte nackte Frau sieht, an ein Scheunentor genagelt. Vielleicht verdienten wir alle, gekreuzigt zu werden, wie die aufrührerischen Gladiatoren im alten Rom. Ich weiß es nicht. Aber jeder Soldat, der das sah, fragte sich, wie es wohl mit uns weitergehen würde.
    Etliche Tage lang marschierten wir von Königsberg aus nach Osten, und auf dem Marsch nahm man uns Eheringe ab, Armbanduhren, sogar Gebisse. Wenn sich einer weigerte, etwas herzugeben, was in russischen Augen wertvoll war, wurde er erschossen. Auf einem großen Feld nahe des Bahnhofs mussten wir tagelang warten, um Gott weiß wohin transportiert zu werden. Es gab keine Verpflegung und kein Wasser, und unaufhörlich kamen mehr und mehr deutsche Soldaten dazu.
    Einige von uns wurden in einen Zug verfrachtet, der uns nach Brünn in Tschechien brachte, wo man uns endlich etwas Brot und Wasser gab. Dann ging es mit einem anderen Zug weiter in Richtung Südosten. Als der Zug Brünn verließ, sahen wir die berühmte Peter-und-Paul-Kathedrale, und bei ihrem Anblick fingen alle Männer an zu beten, auch die, die nicht glaubten. Als wir das nächste Mal haltmachten, mussten wir aus den Viehwaggons aussteigen und bekamen endlich eine warme Suppe. Es war der dreißigste April 1945. Zwanzig Tage nach unserer Kapitulation. Ich weiß das, weil die Russen uns brühwarm erzählten, dass Hitler tot war. Ich weiß nicht, wer sich mehr über diese Nachricht freute, die oder wir. Manche von uns jubelten. Einige wenige weinten. Es war das Ende einer Hölle, keine Frage. Aber für Deutschland war es der Beginn einer anderen. Speziell für uns. Und zwar einer wahrhaftigen Hölle: ein Ort jenseits der Zeit, ein Ort der Strafe und des Leids, von Teufeln geführt, denen es Freude bereitete, anderen Grausamkeiten zuzufügen. Als Maßstab unserer Schuld galt das Buch, das gerade aufgeschlagen dalag, und das Buch war
Mein Kampf
, und für das, was darin stand, würden wir alle leiden. Manche mehr als andere.
    Von diesem Übergangslager in Rumänien – manche behaupteten, es sei Secureni gewesen, von wo die bessarabischen Juden nach Auschwitz geschickt worden waren – ging es in einem weiteren Zug Richtung Nordosten, durch die Ukraine, das Land, in das ich niemals hatte zurückkehren wollen. Wir hielten mitten im Nirgendwo an, und NKWD -Wachen scheuchten uns mit Peitschen und Beschimpfungen aus den Waggons. Wir standen da, geschwächt von Hunger und Durst, blinzelten in die Frühlingssonne wie geprügelte Hunde und warteten auf unsere Befehle. Endlich, nach fast einer Stunde, wurden wir eine Landstraße hinuntergetrieben, zwischen zwei endlosen Horizonten.
    «Bistra!»,
schrien die Wachen. «Schneller!»
    Aber wohin? Würde überhaupt einer von uns die Heimat wiedersehen? Da draußen, so fernab von jedem Anzeichen menschlicher Behausung, schien das unwahrscheinlich, zumal diejenigen, die den Transport gerade noch überlebt hatten, sich kaum noch auf den Beinen halten konnten und jeder, der hinfiel, auf der Stelle von berittenen NKWD lern am Straßenrand erschossen wurde. Vier oder fünf Männer wurden einfach so abgeknallt wie nutzlos gewordene Pferde. Da niemand einen anderen stützen durfte, überlebten nur die

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