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Mission Walhalla

Mission Walhalla

Titel: Mission Walhalla Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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aber –»
    «Halten Sie den Mund und hören Sie zu. Ich war Nachrichtenoffizier. Und davor war ich bei der Wehrmacht-Untersuchungsstelle, in Berlin. Einmal haben wir die Ermordung von sechsundzwanzigtausend polnischen Offizieren untersucht, viertausend davon an einem Ort, dessen Namen ich nicht nennen werde, weil es sein könnte, dass der Hund hier dann die Ohren spitzt. Sie wurden alle auf einer Waldlichtung ermordet und begraben, vom NKWD .»
    «Ach, das ist doch blanker Unsinn», widersprach der Major. «Jeder weiß, dass das die SS war.»
    «Hören Sie, Sie müssen mir unbedingt glauben, dass das Massaker nicht von der SS verübt wurde. Ich weiß es. Ich habe die Leichen gesehen. Und dieser Mann, dieser Blaue, der neben uns sitzt, trägt etliche Orden an der Brust, einer davon ist der Verdienstorden für NKWD -Arbeiter. Wie gesagt, ich war Nachrichtenoffizier und weiß zufällig, dass der Orden vom Rat der Volkskommissare der UdSSR gestiftet wurde – mit anderen Worten, von Stalin persönlich, und zwar im Oktober 1940, als besonderer Dank für alle, die im April desselben Jahres an dem Massaker beteiligt waren.»
    Der Major schnalzte laut mit der Zunge und verdrehte empört die Augen. Draußen vor dem Waggon blies der Bahnhofsvorsteher in seine Trillerpfeife, und die Lokomotive stieß eine laute Dampfwolke aus. «Worauf wollen Sie eigentlich hinaus?»
    «Verstehen Sie denn nicht? Er ist ein Mörder. Ich würde jede Wette eingehen, dass Genosse General Mielke ihn beauftragt hat, uns alle drei kaltzumachen.»
    Der Zug setzte sich in Bewegung.
    «Lächerlich», sagte Weltz. «Hören Sie, falls das der Auftakt zu einem Fluchtversuch sein soll, dann ist er ziemlich unbeholfen. Jeder weiß, dass diese Polen von den Faschisten ermordet wurden.»
    «Sie meinen, jeder außerhalb Polens», sagte ich. «Dort ist man sich nämlich sicher, wer dahintersteckt. Aber wenn Sie das nicht glauben wollen, dann glauben Sie vielleicht Folgendes: Mielke hat Sie bereits gelinkt, Major Weltz. Er hat mir eine Pistole zugespielt, die ich bei meiner Flucht benutzen soll. Aber ich wette, das Ding funktioniert nicht.»
    «Wieso sollte der Genosse General so etwas machen?», fragte Weltz kopfschüttelnd. «Das ergibt überhaupt keinen Sinn.»
    «Das ergibt jede Menge Sinn, wenn man Mielke so gut kennt, wie ich ihn kenne. Ich glaube, er will mich aus dem Weg räumen, damit ich Ihnen nicht verraten kann, was ich über ihn weiß. Und wahrscheinlich will er Sie beide ebenso loswerden, für den Fall, dass ich bereits geplaudert habe.»
    «Es könnte nicht schaden, mal nachzusehen, ob an der Sache mit der Pistole was dran ist, Major», sagte Leutnant Rascher.
    «Na schön. Stehen Sie auf, Gunther.»
    Ich blieb genau da, wo ich war, und schielte kurz zu dem russischen Unteroffizier hinüber. Er hatte einen Stalin-Schnurrbart und dazu passend zusammengewachsene Augenbrauen; die Nase war rund und rot, wie bei einem Clown; an und in den Ohren hatte er mehr Haare als ein Wildschwein.
    «Wenn Sie mich durchsuchen, merkt der Iwan, dass irgendwas nicht stimmt, und zieht seine Knarre. Und dann wird es für uns alle zu spät sein.»
    «Was, wenn Gunther recht hat, Herr Major?», fragte Leutnant Rascher. «Wir wissen nicht das Geringste über den Burschen.»
    «Das war ein Befehl, Gunther. Und jetzt gehorchen Sie gefälligst.»
    Der Major öffnete bereits die Lasche an seinem Holster. Ob er seinen Nagant-Revolver auf mich oder auf den NKWD -
starschina
richten wollte, war nicht abzusehen, aber der Iwan bemerkte es, und als er mir in die Augen blickte, sah er darin, was ich in seinen Augen gesehen hatte: etwas Tödliches. Er griff nach seiner Pistole, was Leutnant Rascher veranlasste, den Gedanken, mich zu filzen, aufzugeben und nach seiner eigenen Pistole zu tasten.
    Ich trug noch immer Handschellen und hatte keine Zeit zu entscheiden, ob der Major auf meiner Seite war oder nicht, also schwang ich die Fäuste in Richtung Iwan, als wollte ich einen Golfball schlagen, und erwischte seinen Schweinekopf mit voller Wucht. Er kippte um und landete auf dem Boden zwischen den beiden Sitzreihen, hatte aber die große .38er bereits in seiner speckigen Hand. Irgendwer feuerte, und die Scheibe in der Waggontür über ihm zerbarst. Einen Sekundenbruchteil später schoss der Iwan. Ich spürte, wie die Kugel an meinem Kopf vorbeizischte und irgendetwas oder irgendwen hinter mir traf. Ich trat dem Russen ins Gesicht, und als ich mich umdrehte, sah ich, dass der Major tot

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