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Mission Walhalla

Mission Walhalla

Titel: Mission Walhalla Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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mir nicht sicher, ob der Ukrainer tot war, aber das war mir eigentlich auch egal. Sein Mörderabzeichen vom NKWD weckte bei mir kein Mitleid. In seinen Taschen fand ich Geld – eine ordentliche Stange Geld – und, was interessanter war, einen Zettel, auf dem dieselbe Adresse stand wie auf dem Umschlag mit dem Geld, den Mielke mir mitgegeben hatte. Ich vermutete, dass mein Mörder Anweisung hatte, den Umschlag nach vollbrachter Tat selbst zu überbringen. Mir das Kuvert zu überreichen, war ein kluger Schachzug gewesen, weil es doch eventuelle Befürchtungen, Mielke könnte ein doppeltes Spiel treiben, größtenteils zerstreut hatte. Wer würde denn schon einem Mann, den er umlegen lassen wollte, einen Umschlag voller Geld mitgeben? Ich fand auch ein Ausweispapier des Ukrainers. Er hieß Wassili Karpowitsch Lebjediew und war in der NKWD -Zentrale in Berlin-Karlshorst stationiert. Das Viertel hatte ich als Villenkolonie mit einer Pferderennbahn in Erinnerung. Er arbeitete aber nicht beim NKWD , sondern beim Ministerium für Streitkräfte, kurz MBC , was immer das auch war. Der Nagant-Revolver in seiner leblosen Hand trug die Jahreszahl 1937 und war gut in Schuss. Ich fragte mich, wie viele unschuldige Opfer Stalins wohl auf das Konto dieser Waffe gingen. Aus diesem Grund bereitete es mir ein gewisses Vergnügen, seinen unbekleideten Körper aus dem Waggonfenster zu bugsieren. Es kam mir irgendwie gerecht vor.
    Mit der Uniformjacke des Iwans und meiner alten Uniform wischte ich den Boden auf und reinigte auch die Wände von Blutspritzern und Hirn, dann warf ich auch sie aus dem Fenster. Ich sammelte die Glasscherben in der Mütze des Russen auf, in der schon seine Orden lagen, und beförderte sie ebenfalls nach draußen. Und als schließlich alles außer mir wieder halbwegs passabel aussah, zog ich mir sorgfältig die Stiefelhose des Leutnants an – die des Majors war mir zu weit um die Taille –, und nachdem ich auch noch in seine Ersatzjacke geschlüpft war, war ich bestens gewappnet, falls in Dresden irgendwelche Russen zusteigen würden. Ich war auf alles gefasst.
    Nein, nicht auf alles. Auf den Anblick von Dresden war ich nicht gefasst gewesen. Der Zug fuhr unmittelbar an den Ruinen der im achtzehnten Jahrhundert erbauten Frauenkirche vorbei. Ich wollte meinen Augen nicht trauen. Die glockenförmige Kuppel war verschwunden. Und der Rest der Stadt war eine einzige Trümmerlandschaft. Dresden war, soviel ich wusste, nie ein kriegswichtiges Ziel oder in strategischer Hinsicht bedeutsam gewesen, und ich wollte mir gar nicht vorstellen, wie wohl Berlin aussehen würde. Hatte ich überhaupt noch eine Heimatstadt, die es wert war, zu ihr zurückzukehren?
    Der Unteroffizier der Roten Armee, der in Dresden in meinen Waggon kam und meine Papiere sehen wollte, warf einen leicht verwunderten Blick auf die zerbrochene Scheibe.
    «Was ist denn hier passiert?», fragte er.
    «Keine Ahnung, aber ich schätze, es ist feuchtfröhlich hergegangen.»
    Er schüttelte stirnrunzelnd den Kopf. «Viele von diesen jungen Burschen, die jetzt Uniform tragen, sind bloß
kolchosniks
. Bauern, die kein Benehmen haben. Die Hälfte von denen hat noch nie einen richtigen Personenzug gesehen, schon gar nicht von innen.»
    «Dafür können sie nichts», sagte ich großzügig. «Und dass sie ab und an mal ein bisschen Dampf ablassen, kann man ihnen auch nicht verdenken. Schon gar nicht, wenn man bedenkt, was die Faschisten Russland angetan haben.»
    «Im Augenblick interessiert mich mehr, was sie diesem Zug angetan haben.» Er schaute kurz auf Leutnant Raschers Ausweisdokument und musterte mich dann.
    Ich hielt seinem Blick mit gelassener Arglosigkeit stand.
    «Sie haben ganz schön abgenommen, seit das Foto gemacht wurde.»
    «Das stimmt», sagte ich. «Ich erkenne mich selbst kaum wieder. Typhus. Ich war sechs Wochen im Lazarett und will mich jetzt zu Hause in Berlin ganz auskurieren.»
    Der Unteroffizier wich ein kleines Stück zurück.
    «Keine Sorge», sagte ich. «Das Schlimmste hab ich hinter mir. Ich hab mich in dem Kriegsgefangenenlager Johanngeorgenstadt angesteckt. Da wimmelt’s nur so von Flöhen und Läusen.» Ich kratzte mich, um meinen Worten Nachdruck zu verleihen.
    Er gab mir die Papiere zurück und verabschiedete sich mit einem kurzen Nicken. Wahrscheinlich ging er sich schleunigst die Hände waschen.
    Ich ließ mich auf den Sitz sinken, öffnete wieder die Tasche des Majors und fischte eine Flasche Asbach Uralt heraus, auf

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