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Mission Walhalla

Mission Walhalla

Titel: Mission Walhalla Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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die ich mich schon den ganzen Morgen gefreut hatte. Ich schraubte sie auf, trank einen Schluck und sah den übrigen Tascheninhalt durch. Zwischen Kleidung, Zigaretten und einigen Zeitungen entdeckte ich einen frühen Gedichtband von Georg Trakl. Ich hatte seine Arbeit schon immer bewundert, ganz besonders ein Gedicht mit dem Titel
Im Osten
, das irgendwie gut in die Epoche und noch besser zu dem Ort passte. Ich kann es noch immer auswendig.
    Den wilden Orgeln des Wintersturms
    Gleich des Volkes finstrer Zorn,
    Die purpurne Woge der Schlacht,
    Entlaubter Sterne.
     
    Mit zerbrochenen Brauen, silbernen Armen
    Winkt sterbenden Soldaten die Nacht.
    Im Schatten der herbstlichen Esche
    Seufzen die Geister der Erschlagenen.
     
    Dornige Wildnis umgürtet die Stadt.
    Von blutenden Stufen jagt der Mond
    Die erschrockenen Frauen.
    Wilde Wölfe brachen durchs Tor.

[zur Inhaltsübersicht]
Kapitel 26 DEUTSCHLAND 1954
    «Sie glauben also, Erich Mielke wollte Sie ermorden lassen, als Dank dafür, dass Sie ihm das Leben gerettet haben?»
    Mein amerikanischer Freund klopfte seine Pfeife aus und ließ den verkohlten Tabak auf den Boden meiner Zelle fallen. Ich war drauf und dran, ihn dafür zurechtzuweisen, ihm zu sagen, dass das hier jetzt meine vier Wände waren und er das gefälligst zu respektieren hätte. Aber wozu? Ich lebte jetzt in einer amerikanischen Welt, und ich war bloß eine Figur in ihrer endlosen interkontinentalen Schachpartie mit den Russen.
    «Nicht allein deswegen», sagte ich. «Auch weil ich ihn mit den Morden an den beiden Berliner Polizisten in Verbindung bringen konnte. Wissen Sie, Heydrich hat immer vermutet, Mielke hätte sich irgendwie dafür geschämt, dass er ein so schäbiges Verbrechen wie Polizistenmord begangen hatte. Dass so etwas seiner irgendwie unwürdig war. Er ging davon aus, dass es Mielke war, der die beiden Deutschen, die ihn zu dem Polizistenmord angestiftet hatten – Kippenberger und Neumann –, während Stalins «Großer Säuberung» 1937 ans Messer geliefert hatte. Sie wurden beide erschossen. Ihre Ehefrauen ebenfalls. Mielke hat wirklich gründliche Arbeit geleistet.
    Aber ich wusste auch, was Mielke in Spanien getrieben hat. Als Tschekist beim militärischen Abschirmdienst hat er Republikaner gefoltert und getötet – Anarchisten und Trotzkisten, die von der Stalin’schen Parteilinie abwichen. Heydrich hatte den Verdacht, dass Mielke seine Position als politischer Kommissar bei der Internationalen Brigade in Spanien ausnutzte, um Erich Ziemer eliminieren zu lassen. Vielleicht erinnern Sie sich, Ziemer war Mielkes Komplize bei dem Polizistenmord. Und wenn Sie mich fragen, lag Heydrich richtig. Vielleicht träumte Mielke ja sogar von irgendeiner politischen Position im Nachkriegsdeutschland und ging völlig zu Recht davon aus, dass das deutsche Volk – und insbesondere die Berliner – niemals Sympathien für einen Mann aufbringen würden, der zwei Polizisten kaltblütig ermordet hatte.»
    «Ein Westberliner Gericht hat doch 1947 versucht, ihm wegen der beiden Morde den Prozess zu machen», sagte der Ami mit der Fliege. «Es hat auf Antrag von Wilhelm Kühnast, der Generalstaatsanwalt am Kammergericht war, einen neuen Haftbefehl erlassen. Wussten Sie davon?»
    «Nein. Zu der Zeit wohnte ich schon nicht mehr in Berlin.»
    «Die Sache ging natürlich schief. Die Sowjets haben sich schützend vor Mielke gestellt und dann mit allen Mitteln versucht, Kühnast in Verruf zu bringen. Die Prozessakten, die Kühnast an die sowjetische Militärkommandantur geschickt hatte, wurden konfisziert und verschwanden auf Nimmerwiedersehen. Kühnast konnte von Glück sagen, dass er selbst nicht auch verschwunden ist.»
    «Erich Mielke hat zahlreiche Parteisäuberungen überlebt», sagte der mit der Pfeife. «Er hat den Tod Stalins überlebt, klar, und den von Lawrenti Beria im letzten Jahr. Wir glauben nicht, dass er mit der Organisation Todt zu tun hatte. Das war bloß ein Märchen, das er Ihnen aufgetischt hat. Dann wäre er nämlich nicht mehr am Leben, wie alle anderen, denen nach ihrer Rückkehr eine kühle Begrüßung von Stalin blühte. Wir halten es für viel wahrscheinlicher, dass Mielke das Lager Le Vernet, schon bald nachdem Sie ihn dort im Sommer 1940 gesehen hatten, verlassen konnte und sich in die Sowjetunion abgesetzt hat, noch vor Hitlers Einmarsch in Russland.»
    «Durchaus möglich», sagte ich. «Ich hab ihn nie für eine ehrliche Haut gehalten. Daher hält sich meine

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