Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mission Walhalla

Mission Walhalla

Titel: Mission Walhalla Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
Vom Netzwerk:
in seinem Sitz saß, während der Leutnant seinen Revolver mit beiden Händen umklammerte und auf den Iwan zielte, aber noch zögerte er, abzudrücken, als hätte er nie zuvor auf einen Menschen geschossen.
    «Schieß endlich, du Idiot», brüllte ich.
    Doch der Ukrainer war der routiniertere Schütze: Noch ehe die Worte ganz aus meinem Mund waren, feuerte er erneut und pflanzte dem jungen Deutschen einen kreisrunden roten Punkt auf die Stirn.
    Ich trat dem Russen mit dem Stiefelabsatz ins Gesicht und trampelte immer weiter, als wollte ich Ungeziefer zerquetschen. Ich erwischte ihn unter dem Kinn und spürte, wie irgendetwas nachgab. Ich trat noch einmal nach, und seine Gurgel sackte unter der Wucht meines Stiefels weg. Er gab ein lautes würgendes Geräusch von sich, und dann rührte er sich nicht mehr.
    Ich ließ mich zurück auf den Sitz fallen und betrachtete das Bild, das sich mir bot.
    Rascher war tot. Weltz war tot. Das war offensichtlich, auch ohne bei ihnen den Puls zu fühlen. Der typische Ausdruck auf dem Gesicht eines Erschossenen ist nämlich eine Mischung aus Überraschung und Ruhe, als hätte jemand einen Film mitten in der dramatischsten Szene angehalten, sodass der Schauspieler den Mund aufgesperrt und die Augen halb offen hat. Aber davon abgesehen ließ die Tatsache, dass ihre Gehirne und das, worin sie geschwommen hatten, über den Boden verteilt waren, keinen Zweifel an ihrem Zustand.
    Als der NKWD -
starschina
ein langes Gurgeln von sich gab, stand ich auf und versuchte, in dem schwankenden Waggon das Gleichgewicht zu halten, während ich fest – so fest ich konnte – gegen seine Schläfe trat. Es war für einen Tag genug geschossen worden.
    Die Ohren klingelten mir noch von den Schüssen, und den Waggon erfüllte der Geruch von Kordit. Aber nichts davon machte mir etwas aus. Wer die Schlacht um Königsberg mitgemacht hatte, den ließ dergleichen ziemlich kalt, und so nahm mein Verstand das Klingeln in den Ohren zum Anlass, aufzuwachen und zu handeln. Wenn ich die Nerven behielt, konnte mir die Flucht noch immer gelingen. Unter anderen Umständen wäre ich vielleicht in Panik geraten und sofort vom Zug gesprungen, um in Richtung amerikanische Zone zu rennen, wie ursprünglich geplant. Doch jetzt kam mir ein besserer Plan in den Sinn, der nur gelingen konnte, wenn ich rasch agierte, ehe mir das Blut, das sich auf dem Boden ausbreitete, einen Strich durch die Rechnung machte.
    Die beiden deutschen NKWD -Offiziere hatten Gepäck dabei. Ich öffnete die Taschen und sah, dass jeder von ihnen eine
gimnasterka
zum Wechseln eingepackt hatte. Gott sei Dank, denn die Uniformjacken, die beide am Körper trugen, waren voller Blut. Dagegen waren die unverkennbaren blauen Hosen zum Glück noch sauber. Zuerst leerte ich ihre Hosen- und Jackentaschen, entfernte dann die Auszeichnungen, die blauen Schulterstücke und die
portupeja
, die Koppeln mit Schulterriemen. Dann zog ich ihnen die Jacken hoch und umwickelte die zertrümmerten Köpfe mit dem dicken Stoff, um das Blut zu stoppen. Weltz’ Schädel fühlte sich an wie ein Beutel voller Murmeln.
    Man muss schon zu einem besonderen Menschenschlag gehören, um nach einem Mord so weit die Fassung zu bewahren, dass man in der Lage ist, gründlich sauber zu machen, und niemand kann das besser als ein Polizist. Vielleicht würde mein Plan scheitern, vielleicht würde ich geschnappt werden, aber noch war ich nicht so schlecht dran wie die zwei Deutschen. Sie waren so tot wie die Weimarer Republik.
    Ich zog ihnen die Stiefel aus, band dann die geschnürten Beine der Stiefelhosen auf, die ich ihnen ebenfalls abstreifte. Ich legte beide Hosen sorgfältig aufs Gepäcknetz, damit sie nicht durch das, was ich als Nächstes vorhatte, beschmutzt würden.
    Die Waggontür konnte ich nicht öffnen. Ein Rotarmist in einem der anderen Waggons hätte mich sehen können. Also schob ich das Fenster nach unten, wuchtete den nahezu nackten Leichnam des Majors auf die Fensterbank und wartete auf einen Tunnel. Zum Glück fuhren wir durchs Erzgebirge, das gespickt war mit Eisenbahntunneln.
    Nachdem ich die beiden toten Deutschen aus dem Fenster befördert hatte, war ich ziemlich erschöpft, aber durch die Arbeit im Schacht war ich imstande, über die Grenzen meiner Erschöpfung hinweg zu funktionieren. Außerdem verdankte ich ihr eine sehnige Muskulatur in Armen und Schultern, die mir in diesem Moment ebenso zugutekam. Und ich war verzweifelt und hatte nichts zu verlieren.
    Ich war

Weitere Kostenlose Bücher