Mission Walhalla
zu keinem Zeitpunkt gewusst oder auch nur geahnt, dass Juden, die in den Osten deportiert wurden, vernichtet werden sollten. Hätte ich es gewusst, hätte ich die Deportationen niemals zugelassen. Ich möchte betonen, dass ich Adolf Hitlers systematische Verfolgung der Juden für das größte Verbrechen in der Geschichte der Menschheit halte.
Natürlich wurden auch viele andere Verbrechen am französischen Volk begangen, aber ich sah es immer als meine Aufgabe an, einige meiner Kollegen davon abzuhalten, mit übermäßigem Eifer vorzugehen, nicht zuletzt, weil ich befürchtete, dass sich ein allzu hartes Durchgreifen der Polizei negativ auf die öffentliche Meinung auswirken könnte. Außerdem waren wir auf die bereitwillige Kollaboration des Vichy-Regimes angewiesen, die in allen Sicherheitsangelegenheiten unerlässlich war. Ich versuchte stets, unangenehmen Konfrontationen aus dem Weg zu gehen. So unterband ich beispielsweise im September 1942 einen frühen Versuch, prominente französische Juden in Paris zu verhaften. Es hatte schon andere Fälle gegeben, aber das war meines Wissens die bis dahin größte Aktion, von der rund fünftausend Juden betroffen waren. Meine Haltung führte häufig zu Schwierigkeiten mit Heinz Röthke, dem Leiter des Judenreferates der Gestapo in Frankreich. Aber auch mein Verhältnis zu anderen fanatischen Elementen in SS und SD war keineswegs konfliktfrei. Oftmals musste ich frisch aus Berlin eingetroffene Offiziere zurechtweisen, die glaubten, die SD -Uniform erlaube es ihnen, nach Belieben mit den Franzosen umzuspringen. Ich erinnere mich zum Beispiel an einen Hauptsturmführer aus Berlin, Bernhard Gunther, der im Sommer 1940 zu den Flüchtlingslagern Gurs und Le Vernet geschickt wurde, um eine Reihe von französischen und deutschen Kommunisten zum Verhör nach Paris zu bringen. Doch statt die ihm aufgetragene Aufgabe zu erfüllen, ließ dieser Offizier die Männer ohne Skrupel an einer Landstraße erschießen. Als ich von dem Vorfall erfuhr, war ich zunächst entsetzt, dann wütend. Als er später auch noch einen deutschen Offizier ermordete, wurde Hauptsturmführer Gunther zurück nach Berlin geschickt.»
HELMUT KNOCHEN , VERHÖRPROTOKOLL , APRIL 1954
«Mein Name ist Helmut Knochen. Ich wurde gebeten, mich näher zu einem deutschen Offizier zu äußern, den ich in einer früheren Aussage erwähnt habe.
Ich habe Hauptsturmführer Gunther im Juli 1940 in Paris kennengelernt, anlässlich eines Treffens, das im Hotel du Louvre oder möglicherweise in einem Gestapo-Büro in der Avenue Henri Martin stattfand. Ebenfalls anwesend waren Herbert Hagen und Karl Bömelburg. Gunther war mit einem Spezialauftrag von SS -Obergruppenführer Heydrich nach Paris gekommen: Er hatte den Befehl, einige französische und deutsche Kommunisten aufzuspüren, die von der Nazi-Regierung in Berlin gesucht wurden. Ich hatte den Eindruck, dass Gunther zu der Sorte Männer gehörte, die bei Heydrich gut ankamen: zynisch, gewissenlos, ohne Anstand. Er machte keinen Hehl aus seinem Abscheu gegenüber den Franzosen, und obwohl ich versuchte, ihn davon abzuhalten, flog er nach Südfrankreich und ließ sich von einem motorisierten SS -Kommando nach Gurs und Le Vernet fahren, um in den Lagern nach den Männern zu suchen, die auf Heydrichs Liste standen. Meiner persönlichen Einschätzung nach hätte die Angelegenheit noch bis zum Spätsommer warten können. Die französischen Truppen waren besiegt, und ein wenig Rücksicht hätte uns gut zu Gesicht gestanden. Aber Gunther bestand darauf. Er war krank, wenn ich mich recht entsinne – ich weiß nicht mehr, was ihm fehlte, aber später hörte ich, er habe sich mit einer Schweizer Prostituierten eingelassen –, doch er reiste dennoch in den Süden, um seinen Auftrag auszuführen. Für Heydrich hatte die Sache höchste Priorität. Fairerweise möchte ich einräumen, dass vielleicht besagte Erkrankung ein Grund war, warum Hauptsturmführer Gunther derart skrupellos mit den Gefangenen verfuhr. Er wurde von einem weiteren deutschen Offizier begleitet, Hauptsturmführer Paul Kestner, und er war es auch, der mich schließlich davon in Kenntnis setzte, was in der Nähe von Lourdes, auf dem Weg von Gurs nach Toulouse, passiert war.
In Gurs waren fast ein Dutzend Männer festgenommen worden. Einer von ihnen war der Parteichef der französischen Kommunisten in Le Havre, Lucien Roux. Es ist ein schrecklicher Gedanke, doch anscheinend wussten diese Männer, was
Weitere Kostenlose Bücher