Mission Walhalla
ermorden.»
«Die beiden Deutschen, die mich im Zug begleitet haben, werden dich leider nicht mehr vom Gegenteil überzeugen können, Elisabeth. Sie hatten nicht so viel Glück wie ich.»
«Du meinst, sie sind tot.»
«Das ist zurzeit jeder, der Pech hat.» Ich zuckte die Achseln. «Aber vielleicht war das schon immer so.»
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Kapitel 30 DEUTSCHLAND 1954
Am Montagmorgen fuhren wir von Ostdeutschland zurück nach Hannover, wo ich eine weitere Nacht in der Villa mit dem Eckturm verbrachte. Früh am nächsten Tag ging es weiter nach Göttingen, wo wir uns Zimmer in einer alten Pension an der Reitstallstraße nahmen, mit Blick auf den Leinekanal. Die Pension war ein klammes Gebäude mit Dielenböden, harten Möbeln, hohen Decken und verstaubten Messinglüstern und ungefähr so gemütlich wie der Kölner Dom. Doch von dort war es nur ein Katzensprung zum VdH-Büro in einem Fachwerkhaus in der Jüdenstraße, das aussah wie aus einem Märchen der Brüder Grimm. Ganz Göttingen sah ein bisschen so aus, und seine Bewohner passten zu dieser Umgebung. Der Direktor der örtlichen VdH-Geschäftsstelle, ein gewisser Doktor Winkel, war ein freundlicher, onkelhafter bebrillter Mann, der Bibliothekar am Hofe irgendeines alten Sachsenkönigs hätte sein können. Und er teilte mir mit, was wir bereits wussten, dass nämlich in der kommenden Woche ein Zug mit eintausend deutschen
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in Friedland erwartet wurde. Der Form halber beschlossen wir – Grottsch, Wenger und meine Wenigkeit –, dem Durchgangslager Friedland einen Besuch abzustatten.
Das Lager Friedland war auf dem Gelände einer ehemaligen landwirtschaftlichen Versuchsanstalt der Universität Göttingen in der britischen Besatzungszone errichtet worden und bestand aus einer Reihe von flachen Gebäuden und einigen wenigen halbrunden Wellblechbaracken, die einen düsteren und abweisenden Eindruck machten. Das Lager wirkte trist, vor allem bei Regen, und die verschlammten Straßen und die hühnerschissgrüne Farbe, mit der alles gestrichen war, taten ihr Übriges. Da glaubte ich dem Gerücht gern, dass Nazi-Wissenschaftler während des Krieges in Friedland mit Anthrax experimentiert hatten. Dies war für viele Menschen die erste Station in der Heimat, auf dem Weg zurück in die Freiheit und in ein neues Deutschland. Dafür aber ließ das Lager einiges zu wünschen übrig, denn die Zustände dort waren nach meiner sachverständigen Meinung nicht besser als in den Arbeitslagern, aus denen diese Kriegsgefangenen kamen. Ich hätte Mitleid mit den Männern haben können, wenn ich nicht eher um mein eigenes Wohl besorgt gewesen wäre, schließlich war es nicht ungefährlich, sich unter so viele
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zu mischen. Obwohl meine Flucht schon sechs oder sieben Jahre zurücklag, konnte ich nicht gänzlich ausschließen, dass mich irgendwer erkannte und als «Kameradenmörder» denunzierte, als Abtrünnigen oder Kollaborateur. Immerhin war ich in den Augen meiner früheren Mitgefangenen in Johanngeorgenstadt jemand, der sich an die Roten verkauft hatte, um nach Russland zur Antifa-Schule in Krasnogorsk zu gehen. Wie prekär meine Lage war, wurde mir klar, als ich einen Polizisten im Lager Friedland fragte, was er dort eigentlich zu tun hatte.
«Die Deutschen, die zurück nach Hause kommen», sagte ich, «wissen sich doch wohl zu benehmen.»
«Genau das ist ja der Knackpunkt», sagte der Polizist. «Sie sind noch nicht wieder zu Hause. In der Heimat, aber eben nicht zu Hause. Manche reagieren sehr ungehalten, wenn sie erfahren, dass sie erst mal hierbleiben müssen, manchmal bis zu sechs oder acht Wochen. Aber so lange kann es eben dauern, bis für die Männer alles geregelt ist, was sie für das Leben in der neuen Republik brauchen. Und dann gibt es die Gefangenen, die noch alte Rechnungen offen haben. Mit Männern, die andere beim Iwan denunziert haben. Informanten. So was eben. Freiheitsberaubung nennen wir das. Es hatte häufig zur Folge, dass der Denunzierte vom Iwan noch schlechter behandelt wurde, und so lautet dann auch die Anklage nach Paragraph 239 Strafgesetzbuch. Zurzeit laufen über zweihundert Verfahren gegen ehemalige Kriegsgefangene. Natürlich sind das bloß die Fälle, die uns zu Ohren kommen, und genauso oft wird hier jemand tot aufgefunden, mit durchgeschnittener Kehle zum Beispiel, ohne dass irgendwer was gesehen oder gehört hat. Das ist fast schon an der Tagesordnung. Hier im Lager passiert mindestens ein Mord pro Woche.»
Natürlich
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