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Mission Walhalla

Mission Walhalla

Titel: Mission Walhalla Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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Orientierung schwer. Einmal fragte ich eine Frau nach dem Weg, ohne daran zu denken, was für eine Uniform ich trug, und sie rannte panisch davon, als hätte ich die Pest. Als ich später erfuhr, was die Rote Armee den Berliner Frauen angetan hatte, wunderte ich mich, dass sie keinen Stein aufgehoben und nach mir geworfen hatte.
    Die Motzstraße war nicht so schwer zerstört wie viele andere. Trotzdem war es mir nahezu unvorstellbar, wie jemand hier gefahrlos leben konnte. Da wäre es sicherer gewesen, eine anständige Planierraupe hätte die ganze Straße dem Erdboden gleichgemacht. Mir bot sich ein Bild aus der Apokalypse. Schuttberge. Abgestützte Fassaden. Tiefe Krater. Ein penetranter Gestank nach Kanalisation. Der Boden unter meinen Füßen so unwegsam wie ein Bergpfad. Ausgebrannte Panzerfahrzeuge. Dann und wann ein provisorisches Grab.
    Das Flurfenster in Elisabeths Stockwerk war geborsten und mit Brettern vernagelt, aber die verwitterte Wohnungstür sah einigermaßen stabil aus. Ich klopfte mehrere Minuten, bis eine Stimme von oben die Treppe herunterschrie, dass Elisabeth erst um fünf zurückkommen würde. Ein Blick auf die Armbanduhr des toten Majors verriet mir, dass ich einige Zeit überbrücken musste, natürlich ohne dabei Aufmerksamkeit zu erregen. Ein NKWD -Offizier im amerikanischen Sektor war zwar keine Seltenheit, aber ich hielt es trotzdem für klüger, möglichst keinem Offiziellen über den Weg zu laufen, der mich fragen könnte, was ich vorhatte.
    Ich spazierte durch die Gegend, bis ich auf eine Kirche stieß, die mir bekannt vorkam. Sie war in der Kieler Straße, allerdings war die Straße in diesem Zustand kaum wiederzuerkennen. Es war eine katholische Kirche, seltsam hoch und eckig, wie eine Burg auf einem Berggipfel. Der Innenraum mit seinen schönen Mosaiken war von den Bomben verschont geblieben. Ich setzte mich und schloss die Augen, nicht aus Andacht, sondern aus purer Erschöpfung. Aber diese Kirche war alles andere als der stille Zufluchtsort, den ich erhofft hatte. Alle paar Minuten kam ein amerikanischer Soldat mit blankgeputzten Stiefeln hereingetrampelt, beugte das Knie vor dem Altar und wartete dann geduldig auf einer Bank in der Nähe des Beichtstuhls. Es herrschte reger Andrang. An diesem Tag hätte ich dem Beichtvater so einiges zu erzählen gehabt, doch ich bereute nicht, was ich getan hatte. Seit der Schlacht um Königsberg hatte ich einen Russen töten wollen – irgendeinen Russen. Das hatte ich dem Herrgott bereits gesagt. Ich brauchte also keinen Priester, der sich in diesen alten Streit zwischen uns einmischte.
    Ich blieb lange dort sitzen. Lange genug, um, wenn schon nicht mit Gott, so doch mit mir Frieden zu schließen, und als ich die Rosenkranz-Basilika – so hieß sie nämlich – verließ, warf ich etwas von dem Kleingeld des NKWD -Majors in die Kollektenbüchse. Für seine Sünden, nicht meine. Dann ging ich zurück zur Motzstraße. Und diesmal war Elisabeth zu Hause, doch als sie meine Uniform sah, blickte sie mich entsetzt an.
    «Wieso kreuzt du hier in diesem Aufzug auf?», fragte sie.
    «Lass mich rein, dann erklär ich’s dir. Glaub mir, es ist wirklich nicht so, wie es aussieht.»
    «Das hoffe ich für dich, sonst kannst du gleich wieder verschwinden. Dann will ich nichts mehr mit dir zu tun haben.»
    Ich betrat ihre Wohnung, und als ich das Bett und den Gaskocher sah, war mir klar, dass sie nur das eine Zimmer bewohnte. Auf meine überraschte Miene hin sagte sie: «So lässt es sich leichter heizen.»
    Ich ließ Major Weltz’ Tasche auf den Boden fallen, zog den Geldumschlag aus der Innentasche meiner
gimnasterka
und reichte ihn ihr. Jetzt sah Elisabeth überrascht aus. Sie fächelte sich mit mehreren hundert amerikanischen Dollar Luft zu und las dann Mielkes Brief, der alles erklärte.
    «Hast du das gelesen?»
    «Klar.»
    «Wo ist denn der Russe, der mir das Geld überbringen sollte?»
    «Tot. Das ist seine Uniform, die ich trage.» Ich hielt es für besser, ihr nur das Nötigste zu erzählen.
    «Wieso hast du das Geld nicht für dich behalten?»
    «Oh, das hätte ich», sagte ich. «Wenn ein anderer Name auf dem Umschlag gestanden hätte. Schließlich kennen wir zwei uns ja ganz gut.»
    «Schon», sagte sie. «Trotzdem, es ist lange her. Ich war mir sicher, du bist tot.»
    «Kein Wunder. Sind ja auch sonst alle.» Ich erzählte ihr so knapp wie möglich, dass ich in einem sowjetischen Kriegsgefangenenlager gewesen und geflohen war. «Ich sollte

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